Grażyna Bacewicz (1909 - 1969): Violinkonzert Nr. 7 (1965/65)

Beginn des 2. Satzes
Beginn des 2. Satzes

 

 

Grażyna Bacewicz 

geboren 5. Febr. 1909 in Łódź, 

gestorben 17. Jan. 1969 in Warschau

 

Uraufführung:

13. Januar 1966 in Brüssel durch Augustin Leonara (dem die Komposition gewidmet ist)

 

CD-Aufnahme:

Joanna Kurkowicz (2009)


Unter den sieben Violinkonzerten der polnischen Komponistin Grażyna Bacewicz ragt das letzte, siebte Violinkonzert heraus, weil es die persönliche Weiterentwicklung einer originellen Komponistin weg von einem neoklassizistischen Kompositionsstil zu ganz eigenen neuen Klangmöglichkeiten eines Violinkonzerts bezeugt. Als Geigerin und Komponistin kannte Grażyna Bacewicz die Möglichkeiten von Klang und Spielvarianten, die in einer Geige stecken. Öfters spielte sie die Konzerte von Karol Szymanowski, gerade das 7. Violinkonzert schliesst sich in neuer Art bei diesen Konzerten an. Als die polnische Musikwelt sich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von den Zwängen des sozialistischen Realismus wegbewegte und sich seriellen und klanglichen Experimenten der damaligen zeitgenössischen Musik öffnete, kreierten polnische Komponisten wie Lutosławski, Penderecki, Tadeusz Baird u.a. ihre damals Aufsehen erregenden Kompositionen. Obwohl Bacewicz zu Lebzeiten nicht nur in Polen sondern auch international eine bekannte Geigensolistin und Komponistin war, gerieten ihre Werke nach ihrem relativ frühen Tode (1969) sowohl in Polen, speziell aber auch international, ungerechtfertigt in Vergessenheit. Zur Zeit der Komposition des 7. Violinkonzertes konnte Bacewicz wegen der Folgen eines Autounfalls selbst nicht mehr als Solistin auftreten, deshalb bekam die Komposition eines letzten Violinkonzerts für sie wohl eine spezielle Bedeutung. Nochmals lotete sie die Möglichkeiten moderner Geigentechnik aus, eröffnete aber auch neue Möglichkeiten des Zusammenklangs von Geige und dem nicht nur in Begleitfunktion, sondern als Klangsubjet mitwirkenden Orchesters. Schon im 6. Violinkonzert stellte sie sich diesen neuen Möglichkeiten, war aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden, deshalb veröffentlichte sie dieses 6. Violinkonzert nicht und übernahm Elemente daraus für andere neue Kompositionen. Ihr 7. Violinkonzert wurde 1965 beim Internationalen Königin-Elisabeth-Kompositionswettbewerb in Brüssel mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. In Brüssel wurde es auch uraufgeführt, aber seither ist es nicht ins Repertoire zeitgenössischer Violinkonzerte mit aufgenommen worden. Höchste Zeit also, sich in die faszinierende Klangwelt dieses Violinkonzerts einzulassen, dessen ansonsten schlichte Orchesterbesetzung auffällig mit Vibrafon, Celesta, Bongos und zwei Harfen verstärkt ist. 

 

Hier auf Youtube zu hören!

 

Hörbegleiter:

Satz 1: Allegro

Ein Peitschenschlag zu Beginn, schrille Bläserakkorde, nach unten ausklingend. Ein voran drängender Rhythmus in den ersten Geigen zieht vorüber und verliert sich. Als Nachhall hört man Celesta- und Vibrafonklänge, nochmals taucht dieser auffällige Rhythmus auf, der sich kurz bis zu einer Art Wienerwalzer-Auftakt steigert, worauf prominent die Violine einsetzt, mit einer ungewohnt sich um Sekunden windenden Solomelodie, immer wieder «up and down» sich aussingend, leise untermalt von den seltsamen Celesta-, Harfen- und Bläserakkorden, bis die Sologeige schliesslich in einem langen Anlauf in höchste Höhen hinaufgleitet. Heftig mischt sich in den Trompeten kurz der vorantreibende Rhythmus ein, der die Geige herunterholt und sie veranlasst, ein neues Motiv anzustimmen. Es ist ein um den Ton a kreisendes Doppelgriffspiel (ein innerhalb einer kleinen Terz gefülltes dissonantes  Intervall), das frei an ein zweites Thema einer Sonatensatzform erinnert, sich aber durchs ganze Konzert prägend durchziehen wird. Doch schnell verklingt das Motiv, von seltsamen Klängen begleitet, in einsamer Leere. Wieder der schrille Bläserausbruch des Orchesters, fast wie zu Beginn, was die Geige zu neuem Auf und Ab herausfordert. Noch zweimal bringt die Geige zu bedrängenden Klängen der Bläser untergründig ihr zweites Motiv, dann flieht die Geige in wilde Läufe, bringt neue Rhythmen, Farben, Klänge, spielt obertonreich sul ponticello, also wolle sie sich all ihrer Fähigkeiten vergewissern. Doch wieder wird sie vom grellen Bläserorchesterklang bedrängt, der Oberhand zu gewinnen scheint, dann aber in seltsamer Leere verlischt. Da beginnt die Geige ihre Kadenz, die mit einer langsam in Sekunden abwärtsgleitenden Melodie beginnt, die im zweiten Satz wieder vorkommen wird, dann wieder um ihre geliebte Sekunde kreist, ihre eigenen Klangmöglichkeiten weiterentwickelt, jetzt allein für sich, bei lange schweigendem Orchester, das der Geige - in alter Sonatenformkategorie ausgedrückt – die Durchführung überlässt. Erst als die Geige zunehmend zu eigenem Spiel und Rhythmus findet, setzt auch das Orchester wieder ein, und begleitet diskret und farbig das Geigensolo, das zu seinem freien Spiel gefunden hat. Die Geige variiert fantasievoll ihr Sekundmotiv, spielt befreit ihre «Glissandi» und «Saltandi». Die Geige scheint die Momente der Ausgelassenheit zu geniessen, bis zum Schluss das Orchester und die Peitsche wieder heftig zuschlagen. Zeit für etwas anderes, zweiter Satz!

Satz 2: Largo

Mit einem dunklen Glissando der Celli und Bässe zu Tamtam-, Harfen- und Vibrafonklängen kreiert das Orchester eine seltsam unwirkliche Stimmung. Sie bildet den Hintergrund zu einer suchenden, erneut um Sekundintervalle kreisenden und sich weiträumig ausbreitenden Geigenstimme. Diese scheint sich in dieser unwirklichen Klangwelt fast zu verlieren. Dann steigert sich diese surreale Klanglandschaft durch Xylophon-Rhythmen ins fast Unheimliche.  Ein zweites Mal setzt die Geige ein, dabei taucht das um einen Ton kreisende Motiv (dieses innerhalb einer kleinen Terz gefüllte Intervall) des ersten Satzes wieder auf. Es führt zu auffälligen melodiösen Sekund-Abwärtsbewegungen, zuerst in der Solovioline, dann leise übernommen von den Orchestergeigen. Die Geige steigert und verwandelt diese Abwärtsbewegung hin zu einer seltsam zauberhaften Klangwelt, die in einen schimmernden Glissando-Wohlklang der Geige mündet, der aber untergründig immer unheimlicher wird. Dagegen insistiert die Geige heftig mit einem Eintonmotiv, auch das Orchester wird laut. Nach kurzer Erschöpfung eröffnet die Geige mit Doppelgriffen eine neue Klangwelt, die zu einem fast mystisch hellen Spiel der Geige mit Vibraphon und Celesta führt und schliesslich einmündet in schnelle, an den ersten Satz erinnernde Auf- und Abwärtsbewegungen der Geige. Eine Art Kadenz schliesst sich an, das leise Tremolo «sul tasto» der Geige mündet in weitausholende Tonsprünge, dann bringt die Geige zu Harfenklängen und Bongoschlägen nochmals das langsam sich verlierende Eintonmotiv in sanft dissonanter Variante. Ein sphärischer choralartiger Holzbläsergesang schliesst sich an. Plötzliche Hornstösse führen zu schreienden Ausbrüchen der Orchestergeigen, die Sologeige tritt dazwischen und beruhigt das Geschehen. Sie findet unerwartet Raum und Stille, um über leisem Tamtam in höchste Weltenferne zu entgleiten.

Satz 3: Allegro

Nach dieser originellen, fast surrealen Klangwelt des zweiten Satzes folgt Grażyna Bacewicz der Konvention der Violinkonzerte und schliesst einen dritten Satz in erkennbarem 6-8 Takt an, beschwingt, wie es sich für ein Violinkonzert gehört, aber ebenso neuartig in Klang und geigerischer Virtuosität. Mit Elan stürzt die Geige sich ins Geschehen, wieder in Auf- und Abwärtsbewegungen, aber jetzt forsch das Voranstürmen bestimmend. Das Orchester folgt der selbstbewussten Geige und begleitet rhythmisch und farbig die ständig neu ansetzenden Auf- und Ab-Bewegungen der Geige. Kurz übernimmt dann das Orchester in wildem Aufschwung das Geschehen und will mit Hilfe von Bongos den weiteren Takt angeben. Doch da setzt die Geige ruhig aber bestimmt mit ihrem Einton-Motiv ein, singt frei ihren Gesang in vollem Geigenton und landet wieder bei ihren eigenen fast manischen Auf- und Ab-Bewegungen des Satzanfangs. Auch als das Orchester sich erneut einmischt, stürmt die Geige ungebremst und manisch virtuos voran, bis das Voranstürmen in einen klanglich zauberhaften Pizzicato-Abschnitt einmündet. Nach dieser kurzen Beruhigung aber geht es beschwingt und virtuos weiter. Nochmals ein kurzer Moment der Entrückung, nochmals lässt die Geige ihr um einen Ton kreisendes Motiv erkennen. Dann aber geht alles über in einen wilden Schlussspurt. Die Geige kann ihre manische Virtuosität in wildem Tempo nochmals ausleben, bis dann alles mit einem heftigen Peitschenknall endet. Anders als der drohende Peitschenknall zu Beginn des Konzerts scheint der letzte Peitschenknall nach der wilden Fahrt durch alle diese Klangwelten befreiter zu klingen. 


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