Sándor Veress: Violinkonzert (1939/48)

 

 

Sándor Veress 

geboren 1. Febr. 1907 in Kolozsvár, damals in Ungarn (heute Cluj-Napoca in Rumänien)

gestorben 4. März 1992 in Bern (CH)

 

Uraufführung:

1939 in Amsterdam mit Sándor Vegh (Violine) und Sándor Veress am Klavier 

 

CD:

Sándor Vegh 1959


Sándor Veress wurde in Kolozsvár, damals in Ungarn (heute Cluj-Napoca in Rumänien), geboren. Er verbrachte aber das letzte halbe Jahrhundert seines Lebens als Exilant vor dem Kommunismus in der Schweiz. In den 1930er Jahren arbeitete er als Forschungsassistent von Bartók an dessen Arbeit über das ungarische Volkslied, mit Ergebnissen, die in den beiden frühen Streichquartetten und in seinem Violinkonzert hörbar sind.

Ligeti betrachtete seinen ungarischen Komponistenkollegen Veress zwar als nicht besonders guten Lehrer – was allerdings später der Wirkung Veress auf Komponisten wie Heinz Holliger oder Roland Moser am Berner Konservatorium widerspricht -, aber – so Ligeti - «er war ein politisches Vorbild. Veress war ein hundertprozentig geradliniger Mensch mit einem unglaublichen Ethos. Ein Mensch mit Mut. Deshalb hat er auch Ungarn verlassen.»

Ligeti schreibt zudem Bemerkenswertes über das frühe Schaffen von Veress als Komponisten:  

«Seine Harmoniewelt ist heller, durchsichtiger als die von Kadosa und Szervánsky; bezeichnend für Veress ist der Durakkord mit grosser Septime. Seine Melodien sind edel und atmen eine breite, freie Luft. Seine Musik ist aber – bei aller Einfachheit – oft schwer zugänglich. Wenn man sie zum ersten Mal hört, meint man, sie wäre unbedeutend, nichtssagend. Ihr Reichtum entfaltet sich nur, wenn man die Werke näher kennenlernt. Dann entdeckt man plötzlich, dass es eine ganz grossartige Musik ist, voll von versteckten Schönheiten, die dem Hörer nicht entgegenkommen: Man muss sie aufsuchen. Eine hohe ethische Haltung charakterisiert seine Musik, besonders sein Hauptwerk, den Psalmus des Heiligen Augustinus. Die zweite Violinsonate und das Violinkonzert sind ebenfalls von grosser Wichtigkeit.» (Ligeti: «Musik in Ungarn», in: Melos 16/1 (1949) s.5ff)

 

Das Violinkonzert ist ein frühes reifes Werk des 32jährigen Veress, das noch vor seiner Flucht in Ungarn entstand. Seine musikethnografischen Studien in Transsylvanien liessen ihn die uralten ungarischen Volksliedmelodien als «klingende, lebendige Wirklichkeit erfahren». «Bei uns war damals alles Melodie, echte Melodie… (Veress).

Das Violinkonzert wurde Sándor Végh gewidmet, der die Uraufführung 1939 in Amsterdam spielte, ohne den zweiten Satz, der später hinzugefügt wurde. Der Komponist selbst spielte den Orchesterpart auf dem Klavier. 1948 scheint dann die Uraufführung der vorliegenden Version mit Orchester stattgefunden zu haben. 1959 wurde es mit Sandor Vegh erstmals aufgenommen. Moderne CD-Aufnahmen vermisst man.

Hier zu hören:

Satz 1 (Aria. Andante)

Satz 2 (Cadenza orchestrale. Andante rubato - Allegro - Andante)

Satz 3 (Finale. Allegro molto)

 

 

Kurzer Hörbegleiter:

Satz 1 (Aria. Andante)

 

 

Eine Melodie zieht sich wie ein Faden über 14 Minuten lang dahin und spricht von Melancholie und allem, was die Welt zusammenhält oder traurig macht.

Begleitet wird diese von transsylvanischer Volksmusik inspirierte Melodie durch langsam schreitende Halbe. Dabei dient die Harmonie fantasievoll der Melodie.

Man kann dieser Melodie einfach folgen und Freiheit im Sinne von Veress erleben: „Einer der faszinierendsten Aspekte des Komponierens ist, dass man jedem neuen und anderen Ton, der nach vorherigen gesetzt wird, sich immer wieder neue Türen öffnen.“

Aufgebaut ist dieser erste Satz wie eine Arie: Kurze absteigende Einleitung der Streicher, dann setzt gleich die Geige mit ihrer Solomelodie ein, in einem zweiten Teil übernimmt das Orchester das melodische Vorwärtssuchen, dann setzt wieder dolce die Geigenmelodie ein und steigert sich in eine Art Solokadenz. Wieder zurück im ersten Tempo verzaubert die Geige im pianissimo ihre Melodie in feine Melismen und führt in einen Adagio-Teil, der auf der tiefen G-Saite beginnt und die Melodie in tiefe Einsamkeit führt. Da setzt das Orchester wieder mit der Anfangsmelodie dieses Satzes ein und ergibt sich in langem Atem in ihr. Erst am Schluss tritt die Geige wieder mit einer Kadenz hinzu und führt danach den Satz mit ihrer Melodie langsam ermüdend zu einem Ende.

Satz 2  (Cadenza orchestrale. Andante rubato - Allegro – Andante)

Nach der langen Aria, die ganz dem Auftritt der Geige gewidmet war, übernimmt nun das Orchester den kurzen zweiten Satz und spielt selbst seine Kadenzen. Die Sologeige hat den ganzen Satz über zu schweigen. Die Streichinstrumente beginnen im Tutti, Posaunen und Horn mischen sich ein, ein Horn und die Klarinette spielen ein Allegro-Duett. Das Orchestertutti führt zu einem Oboensolo. Fagott und Flöte und schliesslich noch die Pauken treten hervor und präsentieren sich. Erst jetzt am Ende des zweiten Satzes darf ein Solo der Violinen (der Konzertmeister!) zum Schlusssatz überleiten.

Satz 3 (Finale. Allegro molto)

 

 

Sogleich übernimmt der Violinsolist wieder die Führung und bringt sogleich einen dynamischen ungarischen Tanz, der nach Geige «stinkt» und nicht mehr an Brahms denken lässt.  Das Orchester begleitet, schält ein Hauptmotiv heraus, während die Geige alle Arten von Motivvarianten spielt. Die Exposition wird wiederholt, bevor dann die Geige eine Art tänzerische Durchführung einleitet. Diese spitzt sich immer mehr zu und entlädt sich dann zuerst in einer langgezogenen Geigenmelodie und später in einer wilden Geigenkadenz. Das Orchester bringt wieder sein Hauptmotiv und die Geige folgt mit ihrem variantenreichen Spiel, bis dann Pauken eine Art Coda einleiten, die sich alsbald in einer ausgiebigen Geigenkadenz auslebt. Ein rhythmisch wilder Orchesterschlussrausch – von schnellsten Violinarpeggien angetrieben - beschliesst das Konzert.


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