Antonio Vivaldi: Concerti RV 226; RV 243; RV 254; RV 278; RV 314A; RV 333

Antonio Vivaldi, Kupferstich von F. M. La Cave (1725)
Antonio Vivaldi, Kupferstich von F. M. La Cave (1725)

Antonio Vivaldi

geboren 4. März 1678 in Venedig

gestorben 28. Juli 1741 in Wien

 

Entstehung:

Concerto D-Dur RV  226, nach 2020-24

Concerto d-moll RV 243 («senza cantin”): nach 1729

Concerto Es-Dur RV 254: nach 1729

Concerto e-moll RV 278: um 1730, wahrscheinlich in Böhmen
Concerto G-Dur RV 314a: um 1717/18

Concerto g-moll RV 333: um 1725

 

CD-Empfehlungen:

Giuliano Carmignola 2004

Anton Steck 2006

Duilio M. Galfetti 2007

Giuliano Carmignola 2012

Amandine Beyer2014

Fabio Biondi 2017

Lina Tur Bonet 2018

Julien Chauvin 2021

Giuliano Carmignola 2023

 


Vivaldi ist vor allem wegen seiner Violinkonzerte «Die vier Jahreszeiten» heute allgemein bekannt. Und viel zitiert wird dann noch der Ausspruch von Strawinsky, Vivaldi habe nur ein Violinkonzert komponiert, das aber 400 mal. Genauere Kenntnisse der Violinkonzerte und der Kreativität eines Vivaldi lassen dieses Vor-Urteil unterdessen verblassen. Von Vivaldi sind rund 250 Violinkonzerte erhalten, davon 100 in Alternativfassungen (Olivier Fouré). Hier können nur ein paar Konzerte exemplarisch besprochen werden, die mir persönlich aufgefallen sind und die von der Erfindungslust dieses venezianischen Komponisten Zeugnis geben. Immerhin hat seine Konzertform Musikgeschichte geschrieben.

Antonio Vivaldi: Concerto D-Dur RV 226

Zwischen 1716 und 1717 besuchten der sächsische Kronprinzen Friedrich August und der polnische König August III. die Stadtrepublik Venedig. Dabei waren auch deren Hofmusiker. Ergebnis war, dass sich anschliessend die neue Art der italienischen Musik auch in Deutschland und Polen verbreitete. Unter diesen Musikern war auch der Geiger Johann Georg Pisendel, der sich mit Antonio Vivaldi befreundete und dessen Violinkonzerte kopieren und zu eigenem Gebrauch mit nach Dresden nehmen durfte.

 

Vom Konzert RV 226 existieren deshalb noch heute ein Manuskript in Dresden (wohl eine Kopie für  Pisendel), und zugleich ein Exemplar in Turin, wo viele Manuskripte von Vivaldi aufbewahrt sind und in letzter Zeit neu erforscht wurden. Dank Internet kann man diese beiden Exemplare einsehen und beim Hören auch mitverfolgen. Ein interessanter Einblick in die Werkstatt damaligere Musiker. Dabei fallen beim Turiner Manuskript auch Korrekturen Vivaldis auf. Was so leicht klingt, scheint gründlich und präzise erarbeitet. Auch wenn das gewohnt dreisätzige, faszinierende Konzert nur etwas über 8 Minuten dauert.

Vergleiche:

Manuskript in der Biblioteca Nazionale Universitaria, Turin (I-Tn): Giordano 29 (f.182r-189v) mit Korrekturen von Vivaldi

Manuskript in der Sächsische Landesbibliothek, Dresden (D-Dl): Mus.2389-O-104 Schrank II coll.Abschrift, Kopie wohl für Pisendel

Hier zu hören!

 

 

Satz 1: Allegro

Eine Besonderheit fällt beim Hören gleich zu Beginn auf: Das normal dem vollen Orchester vorbehaltene Eingangs-Ritornello wird von der Sologeige sogleich mitgestaltet. In den Bässen setzt zweimal ein absteigendes Unisono-Thema mit rhythmisch markanter Entschiedenheit ein. Dem setzt die Sologeige sofort zweimal eine entschiedene Abwärtsfigur entgegen, bevor sie mit einer einfachen rhythmisierten Melodie in Doppelgriffen einen Abschluss des Ritornello vorschlägt. Doch die Bässe insistieren gegenüber dem vorzeitigen Geigensolo und spielen ihr rhythmisches Unisonothema nochmals. «Konzertierend», also spielend streitend, finden sie einen gemeinsamen Abschluss des Eröffnungs-Ritornellos.

 

Erst jetzt sollte eigentlich das Konzertieren der Sologeige beginnen, was dann auch sofort geschieht. Dieser und die folgenden Soloabschnitte der Geige präsentieren ganz verschiedene Varianten von sich abwechselnden Solo-Figurationen, die sich mit dem als Ritornello immer wieder auftauchenden Unisonothema ablösen.

 

Ob man als Hörhilfe in diese Partitur auch Bilder hineinprojizieren darf? Wenn es eine Hilfe zum Hören ist, warum nicht? Vivaldi liebte es, nicht nur in den Vier Jahreszeiten mit Klängen bildliche Assoziationen zu wecken. Hören Sie hier auch einen wilden Ritt, Jagdhörner oder gar Kanonensalven und Pferdegetrampel? Wie auch immer, in die Moderne übersetzt könnte man sagen: Es ist die Freude an Tempo, Mobilität und Freiheit, die uns entgegenklingt.

 

Satz 2: Largo

Und auf diesen schwungvollen Ritt durch die Zeit lässt Vivaldi einen seiner schönsten langsamen Sätze folgen. Schon die einleitenden Pizzicati der Streicher lassen uns etwas Besonderes erahnen. In Ruhe öffnet eine magisch schöne Melodie der Sologeige mit ihren Verzierungen den Hörraum ins Weite und Transzendierende. Einfach hörend mitgehen, hier braucht es keine Bilder mehr! Zum Schluss lassen uns die letzten Pizzicatoklänge der Streicher etwas Zeit, um aus dem Staunen wieder runterzukommen.

 

Satz 3: Allegro

Der Beginn des Schlussatzes holt uns wieder zurück in den eiligen Ritt durch die Zeit. Voller D-Dur-Streicherklang in synkopischer Vorwärtsbewegung prägt das Ritornello, das mit zwei Unisono-Gängen auf und runter abschliesst. Die (nun korrekt einsetzenden!) Soloteile der Geige fantasieren im ständig vorantreibenden Rhythmus ihre Figuren, uns Hörende beeindruckend und mitreissend. Sie werden ab und zu unterbrochen, aber nicht gestoppt, von den Unisono-Gängen des Ritornello-Abschlusses, die dann - sozusagen in der Logik dieses Konzertes - auch den Schluss des Konzertes bilden.

 


Antonio Vivaldi: Concerto d-moll RV 243 («senza cantin”)

Wann die erhaltenen Violinkonzerte Vivaldis  zeitlich entstanden sind, ist in der Vivaldiforschung nicht eindeutig feststellbar, es fehlen viele Quellen. Das Konzert RV 243 scheint nach 1729 entstanden zu sein, wann genau ist musikwissenschaftlich nicht geklärt. Seine Besonderheit: die Geige spielt nie auf der obersten Saite, der e-Seite oder eben der cantin (der Sängerin-Saite).

Die Geige schränkt also ihr Singen bewusst ein und kommt trotzdem wunderschön zur Geltung.

 

Hier zu hören!

Satz 1 (Allegro)

Das Konzert beginnt in der dunklen Tonart d-Moll. Repetitive Floskeln reihen sich aneinander, erzählt wird eher Dunkles. Dann der Einsatz der Geige, ebenfalls mit sich wiederholenden Figuren bringt sie ruhig, nicht blendend dominierend, sondern eher diskret ihre Stimme ein. Als würde sie sich zurückziehen, überlässt sie dann die Musik wieder dem Ripieno des Orchesters. Die Geige bleibt bei ihren schattigen Klangfiguren, wechselt sich ab mit dem Spiel des Orchesters und eilt einem eher resignierenden Schluss des Orchesters entgegen.

 

 

Satz 2 (Andante molto)

Vivaldis Mittelsätze führen oft ganz kurz in eine neue andere Welt, als wollten sie uns aus dem Alltag entführen. Auch in diesem Konzert beginnt die Geige eine Melodie zu singen, immer  auf der etwas melancholisch klingenden hohen Lage der A-Saite. Sinnierend und etwas traurig spielt die Geige ihren entrückten Gesang. 

Satz 3 (Allegro)

Rhythmisch entschlossen und  tänzerisch aufstampfend beginnt das Orchester, die Geige steigt mit ein, in diesen dunklen Wirbeltanz, mit neuer Scordatur, die G-Saite auf A gestimmt, aber so ganz aufhellen will sich die Stimmung nicht. Bis zum Schluss nicht! Energisch treibt die Musik voran. Immer diskret virtuos steht die Geige im Zentrum.  Figurationen und eine Art kurze Kadenz am Schluss aber beweisen: Sie könnte mehr. 

 

 

 


Antonio Vivaldi: Concerto Es-Dur RV 254

Aus der gleichen Zeit wie Vivaldis Violinkonzert RV 243 stammt wohl auch dieses Konzert RV 254.

Hier zu hören!

Satz 1 (Allegro)

Das Konzert beginnt mit einem beharrlichen, marschähnlich rhythmischen Motiv im Orchester, von Geigeneinwürfen unterbrochen. Von Es-Dur wechselt die Harmonie kurz nach g-moll, was dem Thema eine charakteristische, ernsthafte Note vermittelt. Schliesslich übernimmt die Geige die Führung, selbstbewusst und mit einer Melodie, die sie genüsslich weiterführt, bis dass das rhythmische Motiv des Orchester-Tuttis sich zuerst in c-moll und dann in g-moll wieder einmischt. Dann aber legt die Geige los, virtuose Bariolage-Passagen zeigen, wer dominiert, und was der Geiger kann, dann folgt wieder in  Ritornello-Form das Ripieno-Tutti, und nochmals zeigt die Geige im nächsten Soloteil, was Doppelgriffe können, und vermitteln ernsthafte, gereifte  Lebensfreude. Kurzes Schlusstutti, als zöge sich das Orchester zurück.

Satz 2 (Largo)

Spannung im Orchester wird aufgebaut, die Bässe drängen sich vor, mit langsamen Aufwärtspassagen übernimmt dann die Violine die Melodie, friedlich und melodiös, als wolle sie von Liebe und schönen Gefühlen erzählen? Man folge ihr einfach, sie nimmt einen mit, das Orchester begleitet mit diskretem Akkordspiel. Am Schluss werfen sich die Bässe nochmals gewichtig ein… als wollten sie Einhalt gebieten.

Satz 3 (Allegro)

Auch hier treiben die Bässe voran, in schnellem regelmässigen Piano. Dann reisst die Geige das Zepter wieder in ihre Hand. Es geht schliesslich um sie. In wilder Lust eilt sie vorwärts, nur kurz dazwischen wieder zurücksinnierend an das Largo. Aber sofort drängt sie weiter, überstrahlt und überzeugt die knappen Orchestertuttis. Es geht schliesslich um die Geige, sie darf zeigen, was sie kann. Und Allegro kommt ja von Allegria, Es-Dur-Freude. Und gereifte ernsthafte Freude macht stark.


Antonio Vivaldi: Concerto e-moll RV 278

Das Manuskript dieses Konzerts wurde in einem Corpus von Kompositionen Vivaldis gefunden, der in den Jahren 1730 bis 1731 in Prag und Böhmen zusammengetragen wurde. Es scheint, dass das Konzert nach der Ersteinspielung durch Giuliano Carmignola im Jahr 2004 zunehmend an Beliebtheit bei Barockgeiger:innen gewinnt.

Hier eine Live-Konzertaufnahme auf Youtube mit Midori Seiler und dem Bremer Barockorchester von 2016!

Satz 1 (Allegro molto- Andantino)

Wie ein wilder Sturm rast ein Streichertutti auf die Hörenden zu, um sofort einzuhalten: Die Seufzermotive eines Largo-Einschubs lösen sofort andere Emotionen aus. Nochmals der Sturm, erst danach ein fast tänzerisches Andantino-Ausklingen dieses Gefühlskontrastes, von der Dominante zur Tonika führend. Der e-moll-Sturm aber ist weiter präsent, kommt wieder und schliesst das erste Ritornello-Tutti ab. Der Solist meldet sich mit einer schmerzvollen Kantilene, überdeckt dann seine Emotionen hinter virtuoser Geigenbrillanz: grosse Sprünge, Sechzehntelfiguren, Springbögen und rhythmische Unruhe. Nach einem brillant-wilden Lauf der Geige fällt das stürmische Tutti wieder ein. Doch der Solist steigert sich weiter in fast bizarre Spielereien, ohne eine latente Verzweiflung verbergen zu können. Wieder das stürmische Ritornell-Tutti, das aber nach kurzem Stocken zu erlahmen droht. Mit einem wilden Lauf tritt die Geige wieder in den Vordergrund und beherrscht mit ihrer waghalsigen, virtuosen, aber auch gesanglich abwechslungs-reichen Rhetorik die Szene, bis zum erwarteten und ohne Überraschung schliessenden Tutti.

satz 2 (Largo)

Erstaunlicher Beginn: Vivaldi schreibt lange geheimnisvolle Streicherakkorde vor, die harmonisch ungewohnte Gänge gehen. Ein Bassrhythmus liegt allem zugrunde, je nach Interpretation fast eine Art Toten-Konduktus. Es folgen Seufzermotive, das Tutti zieht sich zurück und überlässt der Geige den Klagegesang. Es folgt, was Hörende bei Vivaldi immer wieder in Bann zieht: eine Solomelodie über verschwindend leiser Begleitung, inniger als Operngesang, nur die Geige kann so klagen und gleichzeitig zum Weinen schön trösten. Einfach innerlich Mitsingen, und sich der Geige überlassen. Das Orchester beschliesst die Szene, in Ruhe verklingend.

Satz 3 (Allegro)

Wieder stürmische e-moll Stimmung wie im ersten Satz, aber jetzt von den Bratschen und Bässen rhythmisch vorangetrieben.

Ein ruhiger Mittelteil der Oberstimmen unterbricht kurz die vorwärtsdrängende Dynamik. Der erste Soloteil der Geige fügt sich mit energischen Sechzehntel-Figuren in diese heftige Dynamik ein, jetzt mit ihrer abwechslungsreichen und für die Zeit innovativen Violintechnik: höchste Tonlage, Grosse Sprünge, feine Sechzehntelpassagen, Läufe, Trillerverzierungen und Doppelgriffe.

Das Tutti treibt die atemlose Dynamik weiter. Das mittlere Soloteil bringt zwischendurch etwas Ruhe, auch wenn der rhythmische Drive durchzieht. Das Schlusssolo der Geige zeigt auch ihre melodiösen Möglichkeiten, im Kontrast zu wilden Springbögen und zur Atemlosigkeit des Satzes. Den Charakter dieses Satzes könnte man heute wohl Stress nennen. Das Tutti schliesst wie üblich mit dem Anfangs-Ritornello.

 

 

 


Antonio Vivaldi: Concerto G-Dur RV 314a

Vivaldi komponierte dieses agile, schwungvolle und doch auch lyrische Violinkonzert G-Dur ausdrücklich für den  Geiger Johann Georg Pisendel («per Monsieur Pisendel»), der während eines längeren Venedig-Aufenthalts mit Vivaldi freundschaftlich verbunden war. Musik verbindet Freundschaft, könnte man als Motto über dieses Konzert schreiben. Pisendel kopierte im Gegenzug verschiedene Vivaldi-Konzerte, um sie bei seiner Heimkehr nach Dresden mit dem dortigen berühmten Hoforchester aufzuführen. RV 314 gehört zu diesen Violinkonzerten und stammt wohl aus den Jahren 1716/17, der mittleren Periode von Vivaldis Schaffen.

RV 314a hier zu hören:

 

 

Satz 1 Allegro

Ein typisches Vivaldisches Ritornell-Thema reisst uns sofort mit. Es besteht aus einem anpackenden, schwungvollen Kurzmotiv, dessen leise Wiederholung und entschiedene Fortführung zu einer überraschenden chromatischen Passage führen, die dann zum ersten Violinsolo überleitet. Bereits hier konnte Pisendel seine Schnelligkeit bei Sechzehntelläufen, seine weiten Bogensprünge und Doppelgrifftechnik demonstrieren. Dann tritt wieder das Ritornell-Thema dazwischen, bis die Geige im zweiten Solo mit schnellsten Triolen wieder loslegt und erst bei der Überleitung zum dritten Ritornell (in E-Dur dieses Mal) eine ruhige chromatische Übergangsphrase spielt. Auf liegender Streicherbegleitung setzt die Geige zum dritten Solo an, hier jetzt mit einer lyrisch gesanglichen Adagio-Phrase. Dann folgt nochmals das Ritornell-Thema und führt lebensfreudig zum Schluss.

 

 

 

Satz 2 Adagio (Cantabile)

Der Mittelsatz dieses G-Dur-Konzertes ist in zwei Versionen überliefert. Zum einen ein Adagio cantabile, eine Art Sonatenmittelsatz mit Wiederholungen und blosser Generalbassbegleitung. Zum andern ein bezauberndes Adagio (RV 314a) mit Pizzicato-Begleitung der Streicher, über der eine dieser wunderschönen lyrischen Arienmelodien Vivaldis aufblüht und mit ihren Verzierungen in Schönheit fast erstirbt.

 

RV 314 hier zu hören!
RV 314a hier zu hören!

 

Satz 3 Allegro

Wieder ein fast simples, abfallendes Ritornell-Motiv, das von leisen vibrierenden Achtelnoten-Skalen, die sich bis in pianissimo zurückziehen, beantwortet wird. Das anschliessende Violinsolo geht wieder seine eigenen virtuosen Wege. Im nächsten Tutti wird das abfallende Ritornell-Motiv umgedreht und verläuft aufwärts (nur in den Bratschen noch abwärts!), ohne seinen Charakter zu verlieren. Das zweite harmonisch interessante Solo der Geige führt dann zu einem Tutti, das ganz aus den Achtel-Skalen besteht, die jetzt wie elektrisierend wirken und von den Sechzehnteln der Solovioline noch mehr unter Strom gesetzt werden. Nach kurzem Stocken übernimmt wieder die Geige und lässt ihre Triolenläufe durch die unterschiedlichsten Harmonien und chromatischen Passagen irren, bis dann das Aufwärts-Ritornellthema das Geigenspiel unterbricht (auch die Bratschen spielen ab jetzt aufwärts, als letzte, wie ein Blick auf ein Detail der Partitur belegt). Mit Schwung geht’s dann schnell zum wirkungsvollen Schluss.


Antonio Vivaldi: Concerto g-moll RV 333

Eher düster und geheimnisvoll, und doch beschwingt und mit Drive, so könnte man den Charakter dieses Violinkonzertes beschreiben. Vivaldi hat dieses Konzert in keiner seiner Sammlungen veröffentlicht oder anderweitig herausgeben lassen. Hat er es für seine eigenen Solo-Auftritte reserviert, oder passte es als Pausenzugabe bei Aufführungen tragischer Opern? Schon die Frage nach einem Sitz im Leben bleibt Spekulation. Erhalten ist das Manuskript des Konzerts, dessen Interpretation Musik von seltsam tiefschürfendem Gehalt, aber auch von mitreissender Rhythmik hervorbringt. Den zweite Satz, der sowohl durch Einfachheit besticht wie auch ein lyrisch-gesangliches Wunder darstellt, hat Vivaldi in sakralem Zusammenhang in RV 556 wieder verwendet, neu für Clarini und Geige instrumentiert. Etwas zutiefst Unaussprechliches durchzieht den Verlauf dieses g-moll-Konzertes. Entstanden sein dürfte es um 1725.

RV 333 hier zu hören!

 

Satz 1 Allegro

Sofort erheischt gleich der Beginn in seiner rhythmisch stockenden und doppelten Forte-piano-Gestalt Aufmerksamkeit. Zudem wechselt g-moll gleich im Kopfthema mit B-Dur. Erst dann breitet sich eine chromatisch düstere und von Synkopen dominierte Stimmung aus, die kurz darauf von einer bordun-ähnlichen Bassgestalt von der Tiefe her untermalt wird. Darüber klagen bewegte Figuren, bis dann ein heftiges Generalbass-Solo voranmarschiert und das Ripieno-Orchester mit sich zieht. Fliessend geht das Tutti-Ritornello dann in das erste Solo der Geige über.

 

Auf rhythmisch regelmässigen Achteln verströmt die Geige ihre durchwegs gesanglichen und gleichzeitig virtuosen Figuren, bis Restmotive des anfänglichen Ritornells ihr Solospiel unterbrechen.

 

Frei und schon fast wie eine Durchführung reihen sich die Ritornellmotive des Anfangs aneinander, und wieder fast unbemerkt, die Ritornell-Struktur kaschierend, setzt die Sologeige mit ihren Achtel-Figuren und triolischen Läufen ein und führt uns durch die verschiedensten Tonarten. Einsame langgezogene hohe Geigentöne bringen etwas Ruhe, einsam setzen darunter kurz die zweiten Geigen mit einer ab- und aufwärts schreitenden Begleitung der Solostimme ein, bis sich das von Synkopen geprägte Ritornell-Thema energisch wieder einmischt.

 

Sofort wird es von melodiösen Bögen und rhythmisch fantasievollen Figurationen der Sologeige abgelöst. Nochmals ein düsterer Ritornello-ähnlicher Zwischenruf des Orchesters. Tänzerisch stürmt die Sologeige danach auf eine Art virtuose Solokadenz zu. Weiterhin auf der düsteren Ritornello-Stimmung beharrend setzt das Orchester nochmals seine Akzente und führt den formal ziemlich freien Satz zu einem entschiedenen Ende.

 

Satz 2 Andante cantabile

Die zweiten Geigen spielen einsam und monochrom ein schreitendes sofort eingängiges Generalbassthema, das dann als Begleitung für ein kantables Geigensolo zu dienen hat. Man hört sowohl der Begleitung weiterhin zu, lässt sich aber auch vom Geigensolo verzaubern und geht eine kurze einsame Reise zu zweit bis hin zu einem friedlichen Abschluss mit. Ein Vivaldi-Mittelsatz zum Nicht-Vergessen!

 

 

 

Satz 3 Allegro

6mal ein spitzes G und 6mal ein D: So setzt ein wildes Fughetto der Streicher im Dreiertakt ein (oder ist es ein Zweier Takt, alles zu Beginn noch verschleiert und unklar!).

 

Das Fughetto ergiesst sich schliesslich in beschwingte Achtel, immer von den rhythmisch akzentuierten Tönen angetrieben und in einem Dreiertakt aufgefangen. Synkopen akzentuieren die Dynamik. Im Unisono (mit Echowirkung) klingt dieses Ritornello aus und überlässt der Geige die Führung.

 

Einstimmig von den Geigen begleitet zieht die Sologeige ihren gebundenen Achteln entlang. Raffiniert setzt das Riternollo wieder ein, die Bässe führen die gebunden Achtel weiter, während die Oberstimmen das Ritornello-Thema mit den typischen 6 spitzen Tönen einbringen. Wieder leitet ein Unisono der Ripieno-Instrumente zum Geigensolo über.

 

Tänzerische und ständig variierende Figuren der Sologeige fügen sich in den Dreiertakt und lassen den Satz aufblühen, immer wieder kurz unterbrochen von Ripieno-Einwürfen.

 

Melodiös geht es dann wieder über in ein weiteres Ripieno mit den typischen 6 spitzen Tönen. Ein lustiges Hin und Her von Triolen zwischen Bässen und Sologeige geben diesem Satz weiteren Schwung und kulminieren in der integralen Wiederholung des Ritornellos in der Grundtonart. Dieses Mal allerdings geigt die Sologeige das Ritornello mit virtuosen Appoggiaturen entschieden mit und betont ihrerseits den Höhepunkt dieses Satzes.

 

Zum Ausklang lässt die Sologeige nochmals komplizierte und überraschende Passagen im Dreiertakt erklingen und beschleunigt ihr Spiel bis zu virtuosen Triolenläufen. Im Unisono des Ripienos (mit nochmaliger Echowirkung) klingt das Konzert aus.

 

 

 


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