Norbert Moret: «En rêve». Konzert für Violine und Kammerorchester (1988)

Beginn des zweiten Satzes
Beginn des zweiten Satzes

Norbert Moret

geboren 20.Nov. 1921 in Ménières, Schweiz

gestorben 17. Nov. 1998 in Fribourg  

 

Uraufführung

9.Sept. 1988 in Ascona durch Anne-Sophie Mutter

 

CD-Aufnahme:

Anne-Sophie Mutter 1991

 


Geboren 1921 und aufgewachsen in einer bäuerlichen Umgebung im Kanton Fribourg (Schweiz), entdeckte Norbert Moret in seiner Collège-Zeit das Musizieren auf Klavier und Orgel. Im Konservatorium von Fribourg begann er mit einem Kompositionsstudium. Nach dem zweiten Weltkrieg, als die Grenzen wieder offen waren, entfloh er dem damals etwas engen geistigen Klima von Fribourg und studierte in Paris bei Olivier Messiaen und René Leibowitz. Einer seiner Kommilitonen war Pierre Boulez, sein Studium schloss er bei Arthur Honegger ab. Um seine Familie zu ernähren, musste er dann in die Schweiz zurückkehren und wurde Lehrer für Gesang und Französisch. Und schliesslich Musiklehrer am kantonalen Lehrerseminar. Er komponierte langezeit nur für sich, ohne mit seiner Musik nach aussen zu gehen, einerseits weil in den Fribourger Musikerkreisen wenig Verständnis für sein zeitgenössisches Komponieren bestand, andererseits, wie er selber sagte, er zu scheu war, mit seinen Kompositionen an die Öffentlichkeit zu gehen. Erst 1974 wurde er am Schweizerischen Tonkünstlerfest in der Deutschschweiz als bedeutender Schweizer Komponist entdeckt und Paul Sacher wurde auf ihn aufmerksam.  Seine Musik gilt als klangsinnlich und analytisch sehr durchdacht: obwohl strukturell komplex komponiert (Moret kommt ursprünglich von der Zwölftonmusik, geht dann aber seine eigenen kompositorischen Wege), sind seine Werke stimmungsmässig auch für ein Nicht-Fachpublikum nachvollziehbar. Paul Sacher hat Norbert Moret als Komponisten gefördert und ihm mehrere Aufträge vermittelt. Für Slava Rostropovitch schrieb er ein Cellokonzert und 1988 für die Settimane musicali Ascona und für Anne-Sophie Mutter ein Violinkonzert mit dem die Hörfantasie anregenden Titel «En rêve». Anschaulich sind die Titelüberschriften dieses Träumens, seine Musik aber ist harmonisch, rhythmisch, formal, instrumental raffiniert über alle Sätze durchstrukturiert. Das Konzert ist mit Ann-Sophie Mutter und Seiji Ozawa auch auf CD eingespielt. «En rêve» würde es verdienen, auch unter jüngeren Geigerinnen und Geigern und darüber hinaus bekannt zu werden.

 

Hier zu hören:

Satz 1  Lumière vaporeuse

Satz 2 Dialogue avec l'Étoile

Satz 3 Azur fascinant (Sérénade tessinoise)

 

Satz 1 (Lumiere vaporeuse)

«En rêve» beginnt mit ersten Klang-Spuren, Melodie-Andeutungen und hellen Celesta-Arpeggien, die leicht in der Luft hängen. Sehr ätherische Stimmung, die Geige fügt sich mit einem langzogenen C in diesen Beginn ein und erzeugt ein kurzes Erschrecken des Orchesters. Dann wieder diese Stimmung, die wie Lichtspiele oder schwebende Nebelschwaden (lumiere vaporeuse heisst der Satz!) im Raume schweben. Die Geige probiert Melodisches und spielt Flageolette-Floskeln, die in diese Stimmung passen.

Dann aber tritt erstmals in der Geige eine Art dunkle Melodie hervor, die aber schnell abstirbt , das Orchester bringt leise und dann wieder heftig ausbrechende Melodie-Versatzstücke mit ein…

Es beginnt ein kontinuierliches Hin und Her schwirrender Klänge, Figuren, heftiger Orchester-ausbrüchen, auch die Geige wird mitgerissen, aber entschwirrt immer wieder in flirrende leise, helle und transparente Atmosphären, wie hingepinselt auf helles Glas, oder wie Lichtkegel, die schwirrende Mücken anziehen (wie Moret es selbst einmal selbst beschrieb). Die Geige und verschiedene Orchesterinstrumente und deren Kombination reagieren immer wieder aufeinander, Pizzicatos und Glissandi der Geige mischen sich mit Celestaklängen, dann erhebt sich die Geige zum Ende hin in lichte Höhen, leise Paukenschläge, alles versinkt in Ruhe, die Streicher spielen entrückt nochmals die erste dunkle Geigenmelodie und schliessen diesen formal zwischen diesen Melodien sehr frei wirkenden Satz melodiös ab.

Satz 2 (Dialogue avec l’Etoile)

Ein langgezogener Ton D auf der Geige, solo gespielt, eröffnet eine einsame Kadenz der Geige, und erhebt sich zum Fis. Die D-Dur Terz und Terzen überhaupt spielen eine bestimmende Rolle in diesem Satz und könnten das eindrucksvolle Strahlen eines von Moret geliebten Sterns bedeuten, mit dem der Komponist (dafür steht die Tonart F-Dur) in einen mystischen Dialog eintritt. Der Klang eines dazukommenden Vibraphones lässt diesen Dialog noch traumhafter erscheinen. Eine zweite Phase dieses Dialogs beginnt mit dem sanften, fast monotonen Eintritt des Orchesters, das sich auch zur Terz und zum Dreiklang erhebt. Der Dialog entwickelt sich weiter und öffnet sich. Ein dritter Abschnitt dieses Dialogs wird elementarer, Geige und Trommel und tiefe Streicher stehen sich heftig gegenüber. Erst langsam tritt wieder eine ruhigere Phase ein, leises Col legno der Streicher. Der Satz endet mit dem stillen Terzen-Leuchten dieses «Etoile» in der Solo-Geige.

Satz 3 (Azur fascinant - Sérénade tessinoise)

Eine Fanfare eröffnet einen von viel Schlagzeug bewegten Schlusssatz.  Ein Hornmotiv sticht hervor, dann tritt die Geige mit einem tänzerischen, bordunartigen Doppelgriff-Thema dazu. Nochmals erinnern Terzen an den zweiten Satz, aber verschiedene feine Schlaginstrumente eröffnen gleich wieder einen traumartigen Dialog mit der Geige, insbesondere die Celesta stellt in diesem Konzert eine Art kosmische Sphärenharmonie in Azurblau dar. Die traumartige Stimmung bleibt, die Geige kann ihren Zauber spielen lassen, bis das Bordun-Solothema der Geige erneut in einen Tanz mitreisst, diesmal von der Pauke begleitet. Anklänge an Folklore tauchen auf, kurze melodiöse Motive gehen wie im Traum vorbei. Zum Schluss treten wieder die Bordun-Terzen der Geige hervor, das Orchester stösst nochmals mit seiner Anfangs-Fanfare dazu, die Geige sekundiert mit ihren immer wilderen Doppelgriffen, in einer kurzen Coda steigern sich Geige und Orchester in eine begeisternde Klang-Ekstase hinein.


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