Thierry Escaich: Concerto pour Violon et Orchestre (2009)

CD-Veröffentlichung des Violinkonzerts von Thierry Escaich
CD-Veröffentlichung des Violinkonzerts von Thierry Escaich

Thierry Escaich

geboren 8. Mai 1965 in Nogent-sur-Marne, Frankreich

 

Uraufführung

8. Oktober 2009 im Auditorium Maurice Ravel in Lyon durch David Grimal (violon) und dem Orchestre national de Lyon unter der Leitung von Christian Arming

 

CD Aufnahme

David Grimal 2009, Liveaufnahme der Uraufführung


Der Geist der Passacaglia dominiert dieses Violinkonzert, steht im aufschlussreichen Begleitheft zur CD-Veröffentlichung dieses Violinkonzertes des Organisten und Komponisten Thierry Estaich. Passacaglia ist ursprünglich ein spanischer Tanz, das Wort ist aus pasar und calle (über die Strasse gehen) zusammengesetzt. Typisch ist die ständige Wiederholung eines Ostinato-Basses, über den Variationen gespielt werden.

Strenge und freie Variationen prägen dieses Violinkonzert. Escaich ist denn auch ein viel beachteter Improvisator auf der Orgel. Er gehört zu den jungen französischen Komponisten, die die Phase der seriellen Musik überwinden wollen, ohne die erweiterte Klangwelt der Moderne tonal aufzugeben. So spiegelt sich in diesem Violinkonzert die Strenge und Unerbittlichkeit des Grundmotivs im Orchester und die Freiheit des solistischen Spiels im Violinpart.
Das rund 20 Minuten dauernde Violinkonzert aus dem Jahr 2009 ist in einem Durchlauf komponiert, lässt aber trotzdem vier charakteristische Abschnitte erkennen, nämlich einen strengen dunklen Marsch zu Beginn, dann ein schmerzhaftes Scherzo, eine Phase von Erwartung und «no-mans-land» (Thierry Estaich) und als Finale die eigentliche Passacaglia. Diese Abschnitte «sind durch Übergangsperioden miteinander verbunden, die durch eine gewisse Aufhebung der Zeit gekennzeichnet sind und in denen sich das thematische Material formt und verformt» (Thierry Escaich).

Weitere Information zur Entstehungsgeschichte dieses Konzerts finden sich in Tagebuchnotizen, die Thierry Escaich in der Zeitschrift L’ Express veröffentlicht hat und im Internet nachzulesen sind.

Die Aufnahme der Uraufführung ist hier zu hören.

 

Hörbegleiter:

 

Marsch

Ohne Vorlauf nimmt uns gleich zu Beginn ein düsteres Marsch-Motiv mit auf den Weg in eine konflikthafte Welt. Es insistiert finster auf der erweiterten Quarte und repetierenden Noten. Es wird sich im Verlauf des Konzerts immer wieder wandeln und schliesslich zum Passacaglia-Thema werden. Die Sologeige setzt diesem strengen Rhythmus sofort eine aufsteigende Tonskala (2. Motiv) entgegen, muss aber immer wieder von vorn und unten anfangen wie Sisyphos mit seinem Felsbrocken. Die Streicher des Orchesters unterstützen zwar die Sologeige, doch ein unmittelbar auftauchendes Fanfarenmotiv (3. Motiv) mischt sich ein und unterdrückt jegliches Gelingen einer Befreiung. Ein kurzes Auflichten der Stimmung in Harfen und Flöten und Sologeige bleibt Episode, das dominierende erste Marschthema kehrt zurück.

Scherzo

Gefangen in der unerbittlichen Bedrohung ihrer Existenz entflieht die Sologeige in ein hektisches Vivace, verfolgt von Ablegern des Fanfarenmotivs. Die Geige sucht neue Energie in verzweifelt stressigen Fortbewegungen und heftigen Akzenten. Doch das Marschmotiv erscheint wieder, erst langsam taucht auch das 2. Skalenmotiv wieder auf, bis sich die Stimmung rätselhaft lichtetet (in Klängen von Flöte, Harfe und Celesta). Auch das Skalenmotiv taucht kurz auf, bis dann eine einfache, choralartige Melodie Ruhe und Hoffnung verspricht. Noch unsicher sucht die Geige nach ihrem Weg. Doch bald brodelt es wieder hektisch in der Geige. Nur langsam und schwerfällig (in Doppelgriffen!) steigt die Geige ihre Skalen empor. Untergründige Orchester-Attacken häufen sich und bekommen Oberhand, auch das pochende bedrohliche Marschmotiv setzt sich durch, das Orchester explodiert und demonstriert seine Macht.

"No man's Land"

Der Geige bleibt nichts anderes übrig, als in ein «No man’s land» zu entfliehen. Konturen zerfliessen, Warten auf Neues, Vibrationen im Orchester und erneute Suchbewegungen in der Sologeige bis in höchste Lagen.

Harfenakkorde bilden sich und werden zu einem Begleitfundament für die nach einer Melodie suchenden Geige.


Passacaglia

Harfenakkorde bilden sich und werden zu einem Begleitfundament für die nach einer Melodie suchenden Geige. Dann beginnt die Passagaglia, die auf dem Marschmotiv des Beginns aufbaut, jetzt aber ganz versöhnlich daherkommt. Die Geige findet eine Melodie wird dann aber wieder bedrohlich in die Enge getrieben, bis sie selbst das Passacaglia-Thema im pizzicato übernimmt. Es beginnen die Variationen auf diesem Weg der Passacaglia, diesem «pasar» auf der «calle» des Lebens. Die Musik wird spielerischer, ohne die Konflikthaftigkeit der Existenz abstreifen zu können. Episoden lösen sich ab, mal leichtfüssig, mal melancholisch, mal jammernd, mal anfragend, mal eilend, mal sich beschleunigend, mal das Skalenmotiv einbringend, immer wieder vom Orchester unterbrochen oder zu neuer Energie angetrieben. Ständig stressig voran, bis unvermittelt ein Paukenschlag alles abbricht und die Passacaglia stoppt.

 


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

Kontakt

 

tonibernet@gmx.ch