Paul Ben-Haim: Violinkonzert (1960)

Paul Ben-Haim

geboren 5. Juli 1897 in München

gestorben 14. Januar 1984 in Tel Aviv

 

Entstehungszeit:

1959-60 in Tel Aviv

 

CD-Aufnahmen:

Itzhak Perlman 1990

Michael Guttman 1998

Itamar Zorman 2017


Paul Ben-Haim, in München als Paul Frankenburger geboren, war ein Künstler zwischen den Welten. Seine erste Karriere machte er als Dirigent in Deutschland (u.a. als Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch), schliesslich wird er erster Kapellmeister am Augsburger Theater, wo er 1931 als Jude entlassen wurde. Er wird arbeitslos. Und so siedelt er nach Palästina über, entfaltet sich dort  als Pianist, Dirigent und Komponist. Nach dem zweiten Weltkrieg war seine Musik für die einen nicht experimentell genug, für die anderen nicht jüdisch oder arabisch genug. In Israel änderte er seinen Namen von Paul Frankenburger in Paul Ben-Haim (Sohn des Haim). Haim erinnert an seinen Vater Heinrich und heisst auf Hebräisch auch Leben.

 

Als Klavierbegleiter der aus dem Jemen stammenden Sängerin Braha Zephira lernte er die Musik aus Palästina und Jemen kennen. Für sie arrangierte er Lieder aus der Gegend, doch betonte er: «Ich übernehme keine echten Volksmelodien. Ich erfinde sie. Das ist jetzt meine Sprache, die von meiner Umgebung beeinflusst ist.»

 

1960 entstand sein Violinkonzert im «mediterranen Stil», zwar traditionell geformt, aber mit einigen Bezügen zu nahöstlichen und jüdischen Elementen. Ben-Haim gehörte damals zu den wichtigsten Komponisten Israels und fand zunehmend internationale Beachtung. So schrieb der Kritiker des San Francisco Cronicle 1962 bei der amerikanischen Premiere des Violinkonzerts: «Es ist wundervoll für die Violine als lyrisches und virtuoses Instrument angelegt, es webt mit meisterhafter Wirkung die Solozeile in ein symphonisches Ganzes hinein und hinaus; und es bedient sich mit äusserstem Takt und Eleganz einiger Orientalismen.»

 

Heute angesichts der kriegerischen Gewaltexzesse in Israel und Palästina kann Ben-Haims rund 22minütiges Violinkonzert von einer jüdisch-arabischen Synthese in Kultur und Leben die Menschen nur noch träumen lassen.

 

Hier zu hören!

Hörbegleiter:

 

Headline 1

Das Orchester startet détaché mit einem marschähnlichen, rhythmisch federnden ersten Thema, schreitet drängend voran und bereitet den Einsatz der Geige vor. Zögernd und rezitativisch improvisierend setzt die Sologeige liberamente rubando ein und beschleunigt dann ins Tempo des federnden Hauptthemas. Sie übernimmt virtuos dessen inneren Drive. Nach einem energisch angepeilten Höhepunkt samt Ausklang folgt in einem 3/2 Takt ein zweites Thema in den Holzbläsern, weniger bewegt, meno mosso, von Harfenakkorden unterlegt. Es wirkt beruhigend und seine Melodiosität wird von der Geige zart begleitet und übernommen und in die Hörner weitergereicht. Bald setzt sich der Drive des Anfangs wieder durch, keck und spielerisch zwischen Geige und Orchesterinstrumenten hin und her pendelnd. Dann leitet die Geige die Durchführung der beiden Themen ein und reisst das Orchester in ihr Spiel mit ein. In neoklassizistischer Weise entwickelt sich die Musik, bis im Orchester die Trompeten die Reprise beginnen und die Geige sofort folgt. Das erneute Erscheinen des zweiten Themas beginnt die Geige mit dessen langer Note und erzeugt einen magischen Moment horchender Stille. Ein Harfensolo und eine Geigenüberleitung öffnet den Raum für eine geheimnisvolle Holzbläsermelodie (jüdisch-liturgischer Herkunft?), von der Geige virtuos begleitet. In einer energischen Coda steigert sich die Geige wieder in ihren federnden Anfangsdrive hinein. Ein effektvoller Schluss mit erwartetem Paukenschlag schliesst einen virtuosen und brillanten Violinkonzertsatz ab.

Satz 2: Andante affettuoso

Leise Akkorde von Solo-Bratschen, Celli und Solobläsern versetzen in eine von Sekunden geprägte Stimmung, die man sowohl mit Orient wie Synagogen verbinden mag. Eine einsame Flöte spielt leise eine melismatische Melodie, die in der Solovioline ihr Echo findet. Gemeinsam, Geige und Flöte, spinnen sie die Melodie weiter und schliessen sie ab. Dann übernimmt das Englischhorn die Melismen, die Geige trägt die Melodie in höchste Höhen, schliesslich melden sich auch die Oboen mit ihren Melismen. Alles in friedlicher Ruhe, bis das Orchester leicht bedrohlich sich zu einem Forte aufschwingt. Auch die Geige mit ihren Melismen klingt bedrohlicher und flüchtet sich in ein rezitativisches Solo. Unvermittelt erklingen wie von Jenseits himmlische Harfen- und Celestaklänge, die den hohen silbernen Gesang der Geige begleiten. Klarinetten mischen sich mit ihre Melismen in den Wohlklang, nochmals die einsame Flöte, bis die Geige wieder übernimmt und sich langsam aussingt.

 

Satz 3: Vivo

Der dritte Satz wird durch eine virtuose, sich rhythmisch immer mehr profilierende Solokadenz der Geige eingeleitet. Alles Grüblerische und Mystische wird jetzt weggewischt. Ein rondoartiges, tänzerisches, sich tonmässig innerhalb einer Sekunde bewegendes Geigenmotiv reisst jetzt mit lustvoller Energie das Geschehen an sich. Wie eine Tanzkappelle übernimmt dann das Orchester das Geigenthema und gemeinsam sich abwechselnd stürmen Geige und Orchester in ihrem Tanz voran, bis zu einem überraschenden Einhalt, der mit einem hohen langen Ruheton beginnt. Dann singen zuerst Flöte und Horn, dann die Sologeige ein bezauberndes langsames, sephardisch-spanisch klingendes Thema. Es klingt nach Besinnung und ersehntem Frieden als Grundlage aller Lebensfreude. Diese Lebensfreude drängt sich dann wieder rhythmisch bewegt und überschäumend hervor. In der euphorischen Schlusssteigerung funkt dann nochmals in der Sologeige das erste, marschähnliche Thema des Konzertanfangs auf, was zu einem aufregenden letzten Schlusshöhepunkt mit den leidenschaftlich ausgespielten Sekunden des Rondothemas dieses Satzes führt. Schluss und Applaus.

 


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