Giuseppe Tartini: Violinkonzerte D85, D150, D125

Das Inflammatus-Thema des Konzertes E-Dur (D50)
Das Inflammatus-Thema des Konzertes E-Dur (D50)

Giuseppe Tartini

geboren 8. April 1692 in Piran / Triest

gestorben 26. Februar 1770 in Padua

 

Drei charakteristische Schaffensperioden

(nach Minos Dounias):

Vor 1735; zwischen 1735 - 1750;

vor 1770.

 

CD-Gesamtaufnahme der Violinkonzerte:
Giovanni und Federico Guglielmo sowie Carlo Lazari (1996-2010)

Weitere CDs mit Tartini-Konzerten: 

Carlo Chiarappa (1993)

Elizabeth Wallfisch (2002)

Chouchane Siranossian (2019)

Evgeny Sviridov (2019)


Unbekannt ist Giuseppe Tartini sicher nicht. Fast jeder Geiger und Musikliebhaber kennt die sogenannte Teufelstriller-Sonate (Sonate g-moll «il trillo del Diavolo» B g5). Aber lohnenswert ist auch, seine 135 Violinkonzerte näher kennen zu lernen (oder sind es nach neuerer Forschung gar gegen 160 concerti?). Übrigens ist eine Gesamtausgabe mit den Geigern Giovanni und Federico Guglielmo sowie Carlo Lazari und dem Barockensemble L'Arte dell'Arco auf 19 CDs herausgekommen. Da gibt es immer wieder Hör-Entdeckungen zu machen. Um auf Tartinis bisher grösstenteils unbekannte Violinkonzerte neugierig zu machen, empfehle ich hier drei Violinkonzerte aus drei verschiedenen Epochen seines Komponierens.

Tartini war 40 Jahre lang 1. Violinist im Orchester der Basilica di S. Antonio in Padua. Auf Umwegen (Ausbildung zum Juristen statt wie gewünscht zum Priester, leidenschaftlicher Fechter, verbotene Liebesbeziehung, bis der Bischof von Padua ihn begnadigte) kam er beruflich zum Geigenspiel, als er in Venedig den damals berühmten Geiger Francesco Maria Veracini spielen hörte. Ab 1720 wird er als Geiger berühmt, 1728 wird sein Opus 1 mit zwölf Violinkonzerten veröffentlicht. Es sollte danach ein grossartiges Corpus von Violinkonzerten aus seiner Hand entstehen, die einen neuen Stil von Violinkonzerten darstellt und auch die Geigentechnik enorm vorantreibt.

Tartini wendet sich zunehmend vom Barockstil ab, d.h. die melodischen Phrasen werden klar voneinander abgegrenzt unnd wirken klassisch ausgewogen, die Ritornell-Form wird vereinfacht, in den späteren Violinkonzerten nur noch 3 statt 5 Wiederholungen des Tutti-Themas. Man kann von einem neuen Stil der Empfindsamkeit sprechen.

Die Datierung der einzelnen Violinkonzerte von Tartini ist ausser bei seinen frühen Konzerten historisch kaum mehr möglich. Stilistische Vergleiche führten den Tartini-Forscher Minos Dounias dazu, Tartinis Konzerte in eine frühe (vor 1735), mittlere (1735-50) und späte Schaffensperiode (1750-70) einzuteilen.

Ich wähle im Folgenden aus jeder Periode ein bemerkenswertes Konzert von Tartini aus. Sie sind bei Youtube zu hören:

Violinkonzert g-moll op 1 Nr. 1  D85 
Violinkonzert E-Dur (D50)
Violinkonzert h-moll (D125) («Lascia ch’io dica addio”)

 

 

Violinkonzert g-moll op 1/1 D85

 

Dieses Konzert, stilistisch noch ganz in der Manier Antonio Vivaldis, steht am Anfang der ersten als Opus 1 publizierten Sammlung von 12 Violinkonzerten Tartinis (1728). Es ist viersätzig, mit einem allerdings von heute aus etwas unerklärlichen 2. Satz, einem Fugensatz im alten Stil. Als hätte Tartini als moderner Komponist zeigen wollen, dass er auch traditionell zu komponieren versteht.

Hier zu hören.

 

Satz 1 (Allegro)

Gleich am Anfang: ein dreifacher Absturz im Streichorchester (zuerst Viol. I, dann Viol. II , zuletzt der Bass), rhythmisch auffallend vom hohen G zum mittleren G zum tiefen G.

Sofort folgt eine locker beruhigend-tändelnde Antwort.

Nochmals und nochmals dieser Kontrast von Heftigkeit und und tänzelnder Non-Chalance.

Die Orchester-Motive entwickeln sich weiter bis zu einem erneuten Absturz in die Tiefe:

Jetzt ist die Solo-Geige herausgefordert.  

Sie übernimmt das tändelnd-lockere Motiv vom Tutti-Anfang und beginnt dann

in hoher Lage zu singen, Terzen-Doppelgriffe hinken nach. Nur die ersten Geigen begleiten, wie es auch bei Vivaldi öfters geschieht.

Dann wieder das Tutti-Ritornello mit seiner Absturz-Beruhigungs-Dualität, harmonisch angereichert durch chromatische Phasen.

Dann das zweite Mal das Solo, dieses Mal steigert sich das Spiel der Geige mit den nachhinkenden Terzen-Doppelgriffen zu hoher Virtuosität.

Das dritte Tutti-Ritornello führt durch verschiedene Tonarten und beharrt schliesslich auf seiner g-moll-Stimmung.

Aber nochmals fährt die Sologeige mit einem zu improvisierenden Capriccio (Kadenz) dazwischen,

der Schluss aber bleibt dem Absturz-Motiv im Tutti.

 

Satz 2 (Fuga a la breve)

Absteigende chromatische Halbtöne sind für diese Fuge auffallend, sie geben der Fuge

einen besonders ernsthaften Charakter. Die Sologeige schweigt, bzw. mischt sich unter die andern Streicher und arbeitet mit im Dienst einer strengen Kontrapunktik.

 

Satz 3 (Cantabile)

Jetzt endlich darf die Solo-Violine ihre Arie singen, das Vorbild Vivaldis mit dessen schönen langsamen Sätzen wirkt nach.

Man kann sich diesem 12/8-Siciliano-Gesang, seinen Verzierungen, seinem Atem einfach überlassen, ein Beispiel, wie Musik in Schönheit aufblühen kann.

Ein etwas dunklerer Mittelteil kennt auch den stillen Schmerz des grossen Glücklichseins.

Schön auch der Schluss, wo Tutti und Violine sich voneinander still verabschieden.

 

Satz 4 (Allegro assai)

Im 3/8 Takt vibrieren die Motive des Orchesters und der Solo-Geige. Alles stürmt voran.

Kurzen Einhalt bringt der Soloteil der Geige.

Dann wieder vorwärtsstürmend das Orchester, abwechselnd piano und forte.

Und nochmals das Spiel der sich in Figurationen fast verlierenden Geige.

Entschlossen dann das letzte Tutti als Wiederholung des Anfangs.

 

 

Violinkonzert E-Dur D50

 

Das Konzert stammt aus der mittleren Schaffensperiode Tartinis. Eine Besonderheit ist das musikalische Zitat gleich zu Beginn: Tartini übernimmt es aus Pergolesis Stabat mater. Es stammt aus dem Inflammatus-Duett. Ob dieses Violinkonzert deshalb als Kirchenkonzert zu gelten hat, das in den Liturgien der Basilica San Antonio von Padua gespielt wurde oder ob es als eine Art «Cross-Over» zur Verbreitung von Pergolesis Melodie dienen sollte?

Hier zu hören.

 

Satz 1 (Allegro)

Das Inflammatus-Thema, von Pergolesi geborgt, gibt gleich den synkopischen Rhythmus vor, dann aber wird die Melodie von Tartini frei weitergesponnen und variiert.

Der Soloteil des Konzertes beginnt zu zweit in zwei Soloviolinen wie in einem Duett, noch vom Solocello unterstützt, dann aber geht die erste Geige ihre eigenen virtuosen Wege, der Rhythmus von Pergolesis Motiv insistiert kontinuierlich.

Das Tutti ruft dann wieder zum Inflammatus-Thema zurück und ein zweiter Soloteil übernimmt und spielt mit ihm durch unterschiedliche Harmonien und Figuren.

 

Eindrücklich dann der weitere Soloeinsatz mit dem Inflammatus-Thema, jetzt aber in der Umkehrung aufsteigend.

Aber wieder umspielt die Geige frei das Thema, ständig in Bewegung, erst am Schluss kommt das Orchester wieder hinzu und lässt die kontinuierliche Bewegung langsam auslaufen.

 

Satz 2 (Grave)

Über einer kontinuierlich pochenden Pizzicato-Bassbegleitung erhebt sich eine Arie, die zu schweben beginnt und in eine andere imaginäre Welt hineinführt. Gegen Schluss fällt ein vorwärtsdrängendes Motiv auf, in dem die Geige zu verharren scheint. Doch findet sie zu ihrem lyrischen Gesang zurück.

 

Satz 3 (Presto)

In rastloser Dynamik wiederholt sich ein fast monoton wirkendes Motiv, das den Satz von Anfang bis Schluss bestimmt. Auch die Sologeige schwingt in diese seltsame, trillerreiche Motorik ein. Als würde eine Spieluhr ablaufen, die allerdings etwas hinkt. In weiteren Tutti- und Soloteilen wird dieses Motiv harmonisch immer wieder neu und verschieden gefärbt, als hätte Tartini schon eine Art Durchführung komponiert. Kurz ist der Abschluss, das Motiv verabschiedet sich.

 

 

 

 

Violinkonzert h-moll (D125) («Lascia ch’io dica addio”)

Nach Minos Douanias gehört dieses Konzert zur späteren Schaffensphase Tartinis. Stilistisch sind die Melodien einfacher, gesanglicher, galanter. Die Geigentechnik tritt noch mehr in den Vordergrund als in früheren Konzerten.

 

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Untertitel, den Tartini als Überschrift für den 2. Satz schreibt: «Lascia ch’io dica addio». Das Zitat stammt nach neuester Forschung aus dem Libretto der Oper L’amor volubile e tiranno von Alessandro Scarlatti. In vielen Violinkonzerten zitiert Tartini aus Dichtungen, Opern- oder Oratorientexten, um auf die universale Natur der menschlichen Gefühle hinzuweisen. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau, ein Pionier des modernen Denkens, hatte Tartinis Musik sehr geschätzt, eine Musik, die aus potenziell negativen kulturellen Konventionen zurückführen kann zu echten Gefühlen der menschlichen Natur. 

Hier zu hören.

 

Satz 1 (Allegro assai)

Das Thema ist schlicht und einfach, aber anpackend und gefühlvoll: vom hohen h zum eine Oktav tieferen h. Leicht schwingt das Thema aus. Die Geige antwortet in ihrem Solo mit dem gleichen Thema und spielt und formt es vielfältig aus. Der ganze Satz ist auf originelle Art monothematisch, konzentriert auf ein Grundgefühl (Ringen um Mut, dumpfe Entschlossenheit). Speziell und neuartig ausgebaut ist die virtuose Geigenstimme, die Tutti sind knapp und treten in den Hintergrund. Erst am Schluss blendet sich die Orchesterbegleitung aus: Raum für eine frei zu gestaltende Schlusskadenz ist aufgetan…

 

 

Satz 2 (Larghetto)

Dieses Tartini-Larghetto ist ein Beispiel, wie fein Tartini Seelenlandschaften in Musik umzusetzen weiss. Die Überschrift weist auf Abschiedsschmerzen hin. Auf schlichter Monotonie der Orchesterbegleitung erhebt sich eine reich verzierte wehmütige Lyrik des Geigengesangs. Mehrmals setzt das melancholische Singen neu an, jeder Abschied ist schwer…

 

Satz 3 (Allegro)

Neuer Mut, das Leben weiter zu führen. Die h-Moll-Stimmung aber bleibt. Die Geige stürzt sich sofort vielfältig und fast etwas übermütig in virtuose Passagen, als wollte sie allen inneren Schmerz vergessen und verarbeiten. Oder ist es ein Verdrängen? Wir werden kurz, aber nachdenklich entlassen.

 

 


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

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