Ottorino Respighi: Concerto gregoriano

Respighi: Concerto gregoriano (Beginn des zweiten Satzes)
Respighi: Concerto gregoriano (Beginn des zweiten Satzes)

 

 

Ottorino Respighi:

geboren 9. Juli 1879 in Bologna

gestorben 18. April 1936 in Rom

 

Uraufführung:

5. Februar 1922 im Augusteo in Rom durch Mario Corti (Violine) und Bernardino Molinari (Dirigent)

 

CD-Aufnahmen (Auswahl):

Lydia Mordkovitch, L. (1993)

José Miguel Cueto (2008)

Domenico Nordio (2010)


"Wie eine Sucht hatte uns die Gregorianik ergriffen. Kein Tag verging, an dem er mich nicht gebeten hätte, einige Stellen aus dem Graduale romano zu intonieren…», beschreibt Elsa Olivieri-Sangiacomo in ihrer Biografie über ihren Gatten Ottorino Respighi die Zeit des Entstehens des Violinkonzertes Concerto gregoriano. 1919 hatte Respighi seine ehemalige Schülerin Elsa Olivieri-Sangiacomo geheiratet, 1921 entstand das Violinkonzert. Was Respighi an der Gregorianik interessierte, schreibt Zonia Lazarowich in einer Masterarbeit über Respighis Konzert (Alberta Spring 1970), war weniger der religiöse Ausdruck oder das Stilmittel, das an Alt-Kirchliches erinnert, als vielmehr «the thematic material». Modale Tonarten, Themen-Zitate aus Sequenzen des Graduale Romano (der Sammlung der wichtigsten Choralmelodien), Quinten- und Quartenharmonien prägen dieses Konzert, das aber von der brillanten spätromantischen Orchestrierung, einem virtuosen Solopart der Geige und wohl auch von der Liebe des neu verheirateten Paares lebt. Es kann neben den häufig gespielten Violinkonzerten von Bruch, Sibelius und Glasunows durchaus bestehen. Eine klare Struktur verbindet sich mit einem säkularisierten Mystizismus und kann zu einem tiefen Hörerlebnis werden, wenn man sich auf diese Welt von Respighi einlässt.

Die folgenden beiden Choralmelodien sind zentral für dieses Concerto gregoriano:
«Victime paschalis laudes»

«Alleluja, beatus vir qui timet Dominum »

Das Konzert kann hier mitgehört werden!

Satz 1: Andante Tranquillo - Allegro molto moderato – Calmo, tempo I

Die Einleitung von nur 4 Takten stellt gleich zu Beginn fast programmatisch die musikalische Quintessenz der Gregorianik in romantischer Streicher-Instrumentierung vor, modal (Hypo-Dorisch), von Quinten und Quarten harmonisiert. Danach ruft das Hauptthema - von der Oboe vorgetragen, von Klarinette und Fagott im Kanon aufgegriffen - eher Assoziationen an Natur und Hirten-Volksmusik hervor als an Choralgesang, obwohl die gleiche Harmonik beide Bereiche Natur und Religion verbindet. Nach nochmaligem Erklingen der Einleitung, jetzt mit Holz- und Blechbläsern verstärkt, übernimmt die Sologeige das Hauptthema und führt es rhapsodisch variierend weiter, bis zu einem schnellen energischen Allegro molto moderato. Trotz der jetzt lebhaften Stimmung und der Terzen-Doppelgriffe der Geige scheint dieses Seitenthema eine gewisse Verwandtschaft (fallende Intervalle!) zum Hauptthema zu bewahren. In den Bässen meldet sich dann ein rhythmisches Motiv, das sich im vollen Orchester verstärkt und dann auch von der Geige aufgenommen und rhapsodisch zusammen mit dem jetzt beruhigend wirkenden Seitenthema weiterverarbeitet wird, bis schliesslich zuerst im Englischhorn dann in der Sologeige das Hauptthema wieder auftaucht, ganz nach dem Formschema A-B-A. Die Geige begleitet die Naturmelodie des Englischhorns mit floralen Arabesken und bereitet sich spielend auf die Solokadenz vor. Die Kadenz ist virtuos, verwendet thematisches Material des Satzes und baut sich zu einem wirkungsvollen Höhepunkt auf, um dann mit einer Folge von Trillern ohne Pause direkt in den zweiten Satz überzuleiten.

Satz 2: Andante espressivo e sostenuto

 

Die Melodie, die gleich zu Beginn dieses dreiteiligen Satzes einsetzt, stammt aus dem Choral «Victime paschalis laudes», der Ostersequenz aus der katholischen Liturgie. In schönstem lyrischen Geigenton wird sie vorgestellt, zuerst begleitet von den hohen Streichern, dann von den tieferen. Dorische Modalität und freier Rhythmus wie im Choralgesangs herrschen vor. Nach der Sologeige wiederholen Celli, Bässe und Bassklarinette das Grundmotiv der Melodie. Das Violinsolo erweitert diese Aussage in einer rhapsodischen Passage mit Doppelgriffen zu lyrischem Singen. Gross setzt dann das ganze Orchester ein, angeführt von den Choralpassagen der Hörner und Posaunen. Nach kurzem Abschwellen des Klangs setzen Oboe und Sologeige zum Mittelteil des Satzes an und bringen ein neues Thema, das aber an das Hauptthema erinnert. Die Oboe spielt die Melodie, die Sologeige sekundiert mit rhythmischen Figurationen und lyrischen Passagen. Bald aber setzt sich wieder das Hauptmotiv von «Victime paschalis laudis» durch und wird im Orchester von Instrument zu Instrument weitergereicht. Die Figurationen der Sologeige bleiben dekorativ und improvisierend und entschweben in lichte Höhen, unten in den Bässen von einem rhythmischen Motiv begleitet, das von der Pauke übernommen wird, die Geige wieder in tiefere Lagen zwingend. Über feinen Celestaklängen erklingt dann fast mystisch erhöht («dolcissime») die Wiederkehr des «Victime paschalis laudis». Die Celli, später das Horn, übernehmen das Thema. Freie Lyrik in der Sologeige, Harfenklänge und Celesta kolorieren die Stimmung. Im hell und licht sich ausweitenden Schlussabschnitt spielt die Sologeige Fragmente des Themas, Figurationen und Doppelgriffpassagen. Ein Horn erinnert an das Grundmotiv. Auf einem leise wogenden Orchesterhintergrund, bei Klarinettenklängen und einem gehaltenen Pedalton in D sowie mit feinsten hohen Geigenfiguren klingt dieser mystische Satz aus.

Satz 3: Finale. Alleluja. Allegro energico

 

In festliche Freude ausbrechend eröffnen vier Hörner unisono das Alleluja Finale. Das Thema basiert auf dem «Alleluja, beatus vir qui timet Dominum», rhythmisch dem freien Choralgesang folgend. Die Solovioline übernimmt diese Melodie in hoher Tonlage, von Streichern und Harfen begleitet. Danach meldet sich zuerst in den Pauken ein rhythmisches Quintolen-Motiv, das von den Hörnern übernommen wird. Die Geige bringt nochmals das Alleluja-Motiv in Doppelgriffen, rhythmisch von Harfen und Streichern begleitet. In einer rhapsodischen Überleitung klingt wieder das Fünfton-Motiv durch, bis die Geige mit einem neuen Fis-moll-Thema, das die Quintole miteinbindet, in besinnlichere Sphären führt. Die Oboe und die Holzbläser übernehmen kurz dieses Thema, die Geige erweitert es rhapsodisch, das Orchester mischt sich mit ein und bringt nochmals emphatisch das Alleluja-Motiv. Aber langsam verändert sich die Stimmung, die Oboe verwandelt das Alleluja-Thema, von leisen Figurationen der Geige begleitet, zu einer pastoralen Naturweise, die auch Flöte und Sologeige übernehmen, verträumt und von weiten Fernen sinnierend. Sie führen hin zu einer neuen Andante-Episode. Ein neues ätherisches Thema der Sologeige folgt, von einer absteigenden äolischen Tonleiter in den Streichern begleitet. Nochmals taucht ein neues Thema ähnlicher Stimmung in der Geige über feinen Celestaklängen auf, ein Horn singt mit und lässt das Orchester fast verstummen. Da startet die Geige eine vom Orchester stark unterstützte dramatische Kadenz, bringt thematisch das Alleluja-Motiv immer wieder rhapsodisch ein, und wird schliesslich pochend nur noch von der Pauke begleitet. Aus leisem Hintergrund bringen am Ende der Kadenz gedämpfte Hörner das Hauptthema in Oktaven wieder ein, schnell taucht im Orchester auch das Seitenthema mit den Quintolen auf. Nochmals verstummt das Orchester fast, dann ruft die Geige mit dem Alleluja-Thema, auf der klangvollen G-Saite gespielt und von den Celli und Bässen mit dem rhythmischen Motiv des 2. Satzes unterstützt, zu neuem Jubel auf. Geigenläufe und sublime und festliche Orchestereinwürfe wandeln das Alleluja zu festlichem Jubel und führen dieses Konzert in freier Form (wars ein Sonaten-Rondo oder eine freie Rhapsodie über das Alleluja?) zu einem beglückenden und optimistischen Ende.


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

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