Willy Burkhard
geboren 17. April 1900 in Leubringen (Kanton Bern, Schweiz)
gestorben 18. Juni 1955 in Zürich
Uraufführung
26. Januar 1945 in Zürich, Solistin: Stefi Geyer, Dirigent: Paul Sacher
Aufnahmen:
Hansheinz Schneeberger 1971
Sibylle Tschopp 1997
Das Interesse an der Wiederentdeckung von Komponisten, die vor dem zweiten Weltkrieg die Musikszene regional und teilweise auch international bestimmt hatten, wächst. Deren Innovationen überlebten irgendwie versteckt während des zweiten Weltkrieges und wurden dann zu Beginn der musikalischen Avantgarde nach 1945 an den Rand gedrängt oder gar vergessen. Der Schweizer Willy Burkhard gehört zu diesen Komponisten. Er studierte in Bern, Leipzig, München und Paris. Als überzeugter Protestant hat er in seiner Zeit zur Erneuerung der Kirchenmusik beigetragen, insbesondere durch seine Oratorien «Das Gesicht Jesajas» (1934) und «Das Jahr» (1940/41), doch hat er in allen Gattungen von Kammermusik, Orchestermusik bis zur Oper («Die schwarze Spinne», 1948) ein grosses Werk, das 99 Opusnummern umfasst, hinterlassen. Die Sammlung Burkhard befindet sich heute in der Paul Sacher Stiftung in Basel.
Burkhards Leben wurde nicht nur durch den zweiten Weltkrieg, sondern auch privat durch eine langwierige Lungenerkrankung beeinflusst und eingeschränkt. So lebte er ab 1933 abgelegen und weit entfernt von der aktiven Musikszene in den Lungenkurorten Montana und Davos, bevor er dann 1942 als Lehrer für Theorie und Komposition ans Konservatorium Zürich berufen wurde. Burkhards unerwarteter, frühzeitiger Tod 1955 verhinderte eine weitere Entwicklung seiner kompositorischen Ansätze.
1943 entstand sein 20-minütiges, einsätziges, aber klar dreiteiliges Violinkonzert. Der Kenner der Schweizerischen Musik des 20. Jahrhunderts, Walter Labhard, beschreibt diese Komposition als Verbindung von neoklassizistischem Musikantentum mit «einer an französischen Vorbildern geschulten Klangbehandlung von meisterhafter Durchsichtigkeit. Eine Intervallstruktur, die auf einer bis zur Septime ausgedehnten Terzenfolge basiert, und unablässig variierte Sekundmotive nutzt der Komponist zur Erzielung einer Einheit, welche weder durch unterschiedliche Ausdruckselemente noch durch die im letzten Teil gesteigerte Virtuosität gefährdet wird.»
Als Motivation, dieses Violinkonzert von Willy Burkhard aus dem Jahr 1943 heute zu hören, diene folgender bemerkenswerte Briefauszug aus dem September 1939: «Es ist doch etwas Besonderes, wenn mir gerade heute jemand sagt, meine Musik werde schon noch eine Aufgabe zu erfüllen haben. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen oft genug gesagt, es sei jetzt höchst unwichtig, ob diese und jene Aufführung stattfinde oder nicht. […] Wir brauchen uns aber schliesslich nur zu fragen, wer uns mehr bedeutet, Hitler oder Goethe, Goering oder Schubert, Goebbels oder Kant (um nur von den Deutschen zu reden), so sind wir uns (sic!) die Antwort nicht verlegen. Und es ist doch sehr fraglich, ob unsere geistigen Güter zerstört werden können, so bitter und schwarz die Zukunft aussieht. Hie und da komme ich mir ganz komisch vor, wenn ich, anstatt mitzuknallen und Politik zu machen, Musik schreibe. […] Und – ich kann nichts dafür – aber irgendwie müssen sogar solche schlimmen und schlimmsten Zeiten als Anreger wirken!» (Willy Burkhard in einem Brief an die Familie Indermühle vom 12. Sept. 1939).
Diese Zeilen sind auch im Jahr 2024 brennend aktuell.
Hörbegleiter:
Ein Streicherglissando, ein hoher Flöteneinsatz und die Sologeige auf dem ungewohnten, hohen Dis ergeben eine Klangfarbe von hoher Künstlichkeit, umso mehr, als auch noch die Harfe miteinsetzt. In Terzen und Achtelläufen setzt sich die Sologeige in Szene, nur unterbrochen von weiteren klangvollen Streicher-/ Flöten-akkorden samt Harfenglissandi.
Die Geige geht nach ihrem Rezitiv bald in ein Allegro moderato über und schreitet allein mit einem seltsam pikanten Thema über virtuosen Doppelgriffen voran. Fagott, Klarinette und Bässe übernehmen das Thema und führen es fast etwas bedrohlich weiter, die Geige hinkt nur noch mit. Schliesslich mündet dieses hinkend vorwärtsdrängende, mehrdeutige Allegro ins ganze Orchester. Als es sich erschöpft, spielt die Geige – wieder von einem Harfenglissando animiert - weitere Geigen-improvisationen und bringt ein neues triolisches Allegro-Terzenmotiv. Celli und Kontrabässe kontrapunktieren das Spiel der Sologeige und führen aus der Gewöhnlichkeit zu einem neuen kunstvollen Klangakkord des ganzen Orchesters. Daraus starten nun die Orchestergeigen gemeinsam zu ihrem eigenen Improvisations-Rezitativ, sozusagen die Sologeige nachahmend, verlangsamen die Terzenläufe und leiten direkt zu einem Lento über.
Das Horn und die Bass-Saiten der Harfe spielen und wiederholen ein monotones, in Sekunden absteigendes Thema. Der obere Teil der Harfe übernimmt die Terzenbegleitung. Die Geige setzt leise mit einem zärtlichen, aber rhythmisch unsicheren Gesang ein, während gleichzeitig die Bass-Saiten der Harfe und das Horn chaconneartig und penetrant auf ihrem Schreitthema beharren. Aus leisem Piano schwillt das Schreitthema bedrohlich an, das Zupfen der Streicherbässe, schliesslich noch ein zweites Horn kommen dazu, scheinen dem Gesang der Geige den Atem abzuwürgen. Die Geige flieht ausdrucksvoll in hohe Lagen. Erst als das monotone Schreitthema sowie die Geige in ihrem fast atemlosen Gesang sich erschöpfen, vermag die Harfe ihre klangvolle Begleitung weiterzuziehen, verwandelt das entkräftete Lento und versorgt es schliesslich mit dem neuen Sauerstoff eines Allegro im 12/8tel Takt.
Die Harfenbewegung wird sofort von den Streichern , dann von Fagott und Klarinette übernommen. Sie stabilisieren einen bewegten 12/8 Rhythmus. Darüber atmet die Geige wieder auf. Sie spielt Ketten schnellster Sechzentelfiguren. Als würde sie neu Luft bekommen in der Frische des Zusammenklangs von Geige, Fagott und Klarinette.
Ist diese eine Klangmischung verbraucht, taucht eine neue fast kammermusikalische Mischung weniger Instrumente auf: Horn und Klarinette begleiten mit einem neuen monotonen Motiv, von der Harfe unterstützt, einen jetzt gelasseneren Lento-Gesang der Geige. Sie singt ihre feine und dahinziehende Melodie in neuer transparenter Klangluft. Den Abschluss übernimmt die Klarinette und leitet gleichsam improvisierend über zum Allegro giocoso.
Die Streicher beginnen über lockeren Pizzicati mit einem heiteren Giocoso-Thema, nicht ausgelassen, sondern eher dankbar und zuversichtlich nach überstandener Krise. Die Geige übernimmt das Thema eine Quinte höher im Solopart und freut sich in einem virtuosen rhythmischen Solo an ihrer eigenen Freiheit. Dann bringen Fagott und Klarinette zusammen ein aufsteigendes Begleitmotiv. Das Giocosothema und das Begleitmotiv vereinen sich, tun sich vielgestaltig zusammen, Hörnerrufe erklingen, eine Art Fughetto aller Instrumente umfasst alle. Nach kurzem Einhalten meldet sich die Harfe schwungvoll zurück, man meint sogar in der Harfe das Schreitthema zur aufgeregt das Giocosa-Thema spielende Geige mitzuhören. Hornklänge mischen sich dazu, Musik pur, alles voller neuer Zuversicht. Die Orchestergeigen spielen ein verrücktes Duett, die Klarinette bringt nochmals das Begleitthema. Das Fagott wechselt dann zum Giocosathema, und schliesslich beruhigt sich die Musik und lässt der Sologeige Raum für eine Kadenz, die trotz bisherigem Übermut in Besinnlichkeit eintaucht.
Die Besinnlichkeit der Kadenz mündet in einen wunderschönen Adagio-Abschlussgesang der Sologeige. Über verklärten, aber transparenten Akkorden der Orchesterinstrumente und der Harfe verliert sich die Geige mystisch in höchsten Höhen.
Diese Besinnlichkeit, ist sie Erinnerung an die bestehenden Krisen, ist es Furcht oder Gebet angesichts der drohenden Zukunft, hängt es mit der Kriegssituation oder mit der privat erlebten Lungenkrankheit Burkhards zusammen? Kunst, nüchtern geworden in Krisenzeit!