Géza Frid
geboren 25. Januar 1904 in Máramarossziget, Österreich-Ungarn;
gestorben 13. September 1989 in Beverwijk, Niederlande
Uraufführung
7. Nov. 1952 durch die Widmungsträger Herman Krebbers und Theo Olof
Aufnahmen:
Herman Krebbers und Theo Olof (1952)
Jeanne Lemkes-Vos und Bouw Lemkes (Konzertmitschnitt unbekannten Datums)
Géza Frid verliess 1929 Ungarn endgültig, wo er seine musikalische Ausbildung bei seinen Lehrern Kodaly (Komposition) und Bartok (Klavier) erhalten hatte. Zunehmend war er den Repressionen des faschistischen judenfeindlichen Regimes von Miklós Horthy ausgesetzt gewesen. Er siedelte sich auf Einladung seines Freundes und Geigers Zoltán Székely in den Niederlanden an. Als staatenloser Jude musste er aber in Holland erneut Deportation und Vernichtung befürchten und konnte während der Besetzung der Nazi nicht öffentlich auftreten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er 1948 die niederländische Staatsbürgerschaft und konnte endlich ein freies Musikerleben als Pianist und Komponist führen. Er wurde zu einem führenden holländischen zeitgenössischen Komponisten. 1989 fiel er im Alter von 85 Jahren einem tragischen Brandunfall in einem Altersheim zum Opfer. Seit seiner Flucht aus Ungarn blieb er mit Bartok, Kodaly und der ungarischen Musikszene im Kontakt, war aber als Komponist zusätzlich beeinflusst von Debussy, Ravel und dem Neoklassizismus. Lange Zeit war er einer der meistgespielten Komponisten Hollands, die Entwicklung der Musik in der Nachkriegszeit machte ihn dann zunehmend zu einem der vielen vergessenen Komponisten. Erst neuerdings entdeckt man die Qualität seiner Musik wieder neu.
Das Gesamtwerk dieses «ungarischen Holländers» umfasst mehr als 100 Werke. Zum Stil der vielfältigen Kompositionen Géza Frids meinte Frids Sohn, Arthur Frid: er habe «ein ausgeprägtes rhythmisches Gespür», er gebrauche häufig Kontraste und besitze «eine melodische Vorstellungskraft, die fest in der Musik und Folklore seines Heimatlandes verwurzelt ist».
Eines seiner erfolgreichsten Werke war das 1952 entstandene Konzert für zwei Violinen und Orchester. Alles ist von der Zwei bestimmt: zwei Geigen, zwei mit einer Einleitung versehene Sätze mit je zwei Themen, gründend in zwei Musiktraditionen, der niederländischen und ungarisch-rumänischen, und trotzdem ergibt sich eine verblüffende Einheit des Werkes. Nach der Uraufführung schrieb das Algemeen Handelsblad: Das Konzert ist «eine Komposition, die ihren Weg zu den Zuhörenden Herz dank seiner einfachen Struktur und seiner zugänglichen Themen findet.» Man könnte ergänzen: Wie einige Stücke von Ravel verbindet es musikantische Modernität mit rhythmisch mitreissender Direktheit.
Géza Frid selbst führte mit folgenden Worten in sein Konzert ein: „Das Werk verdankt seine Entstehung dem ungarisch-amerikanischen Dirigenten Antal Dorati, der, beeindruckt von der außergewöhnlichen Einheit von Vision und Stil von Herman Krebbers und Theo Olof, sein Erstaunen darüber äußerte, dass noch kein niederländischer Komponist die Gelegenheit ergriffen hatte, ein Konzert für das einzigartige Duo zu komponieren. Alles ist in diesem Konzert bemerkenswerterweise doppelt vorhanden: Es gibt zwei Solisten und zwei Sätze, denen jeweils eine Einleitung vorausgeht. Beide Sätze enthalten zwei Hauptthemen, und jeder Satz schließt mit einer Coda, in der die beiden Themen kombiniert werden. Der erste Satz (Andantino pastorale) ist in Sonatenform geschrieben und enthält nostalgische, fließende Linien; der zweite Satz (Allegro molto) steht mit seinen rumänischen und ungarischen Volkselementen im völligen Gegensatz dazu, - und sind Jugenderinnerungen aus Maramuresch, der Region meiner Geburt. Die zitierte Musik kann als ein rhapsodisches Abenteuer in die Vergangenheit betrachtet werden“.
Hier zu hören!
Hörbegleiter:
Dumpfe Paukenrhythmen zur Einleitung, darüber reissen die beiden Geigenstimmen rhythmisch ihre Tripelgriffe, die sich bald in rollende Doppelläufe auflösen und hinführen zum ersten Thema des Satzes, einem pastoralen 6/8 Andantino. Dieses eingängige Thema mit nachschaukelnden Quarten wird abwechselnd von den hohen und tiefen Streichern gespielt. Über deren friedliches Ausklingen schwingt sich dann unvermittelt eine verführerisch schöne Melodie in der Flöte hoch. Die tiefen Streicher übernehmen dieses zweite Thema, dann aber kommt das musikalische Geschehen ins Stocken. Zuerst die Flöten, ein Fagott, dann ein Horn erheben fragend ihre Stimmen, die Flöten verharren leicht desorientiert.
Erst der kanonische Einsatz der beiden solistischen Geigen mit der Wiederholung des ersten pastoralen Themas beruhigt die Stimmung. Doch ein Verweilen ist nur kurz: Aufgeschreckt vom Orchester geraten die beiden Geigen in Aufregung und finden ihren Ausweg erst, als sie sich an das zweite Thema erinnern. Zuerst spielt es die zweite Geige in höchster Lage vor, die erste verweilt in Begleitfiguren, dann wiederholt das Orchester das zweite Thema. Doch dann zersplittert die Musik erneut, die Klarinette, das Horn, die Flöten verharren bei Relikten der ursprünglichen Themen.
Resolut setzt dann die erste Geige neu mit einem energischen, folkloristischen Geigenthema ein, gefolgt von der zweiten Geige und dem in den Bässen ebenfalls energisch einsetzenden Orchester. Es folgt eine Art Durchführung. Motive und Rhythmen werden miteinander und gegeneinander gespielt. In einer Tranquillo-Phase duettieren Geigen-Flageoletti mit der brillierenden Solo-Flöte.
Ein bewegtes Orchester-Tutti, gefolgt von einem Soli der beiden Geigen, führt dann zur Wiederaufnahme des zweiten Themas, zuerst durch die zweite Geige allein, dann aber gemeinsam im Einklang der beiden Geigen. Nochmals lösen sich die beiden Geigen in ein verspieltes Hin- und Her auf, bis dann in neuem Kontrast die Pauke und die Trippelgriffe des Anfangs wiederkehren und zu einer Doppel-Kadenz der Solisten hinführen, die besonders durch einen längeren Pizzicato-Abschnitt auffällt.
Als das Orchester sich leise wieder in das Spiel der Geigen einmischt, übernehmen die Geigen das Anfangsthema in ruhiger verklärter Art. Horn und Fagott erinnern an das Gehörte, das Duo der beiden Geigen vereint die beiden Themen dieses Satzes zu einem zauberhaft atmosphärischen Verklingen.
Auch der zweite Satz beginnt mit einer langen, präludierenden Einleitung, allerdings nicht von den beiden Sologeigen, sondern von der Klarinette in scheinbar frei improvisierendem Stil initiiert. Dann aber löst die erste Geige die Klarinette energisch ab, die zweite Geige folgt ihr und zusammen bereiten sie uns virtuos präludierend auf einen noch unbekannten Satz vor, vom Orchester harmonisch untermalt und unterstützt. Schliesslich stürzen sich die beiden Geigen, nach energischen Paukentriolen, in ein wildes ungarisch-rumänisch-folkloristisches Geigen-Allegro molto. Die beiden Geigen geben das Tempo an, das Orchestertutti übernimmt den angeschlagenen Drive. Als dieser sich etwas abschwächt, zitieren die beiden Geigen prominent den Beginn eines –den Geigenfans sofort bekannten - barocken Motivs, bevor sie mit einer gesanglichen Melodie einen Moment von Zärtlichkeit in diese vorwärtsdrängende Musik hineinzaubern.
Der mitreissende Drive dieses auf Folklore basierenden Satzes setzt sich aber bald wieder fort. Die markanten Akkorde der beiden Geigen klingen wie von einem Instrument. Gleich einer Rhapsodie fügen Orchester und Geigen ihr folkloristisches Material an- und zueinander, auch die zärtliche Melodie taucht wieder auf. Doch dann scheinen sich die beiden Geigen endgültig in den Barock zu verirren, sie zitieren Bachs berühmtes Doppelkonzert.
Ein gleissend dissonanter Orchesterakkord aber unterbricht dieses Zitat und entlarvt diese Verschmelzung von Kunstmusik und Folklore als Spiel. Sogleich startet der folkloristische Tanz furios auf ein wirkungsvolles Ende zu. Ganz zum Schluss noch zwei Glissandi der Sologeigen, sozusagen ein Augenzwinkern und vorbei ist es mit diesem «rhapsodischen Abenteuer in die Vergangenheit» (Géza Frid).