Janis Ivanovs
geboren 9. Oktober 1906 in Babri, Preiļi
gestorben 27. März 1983 in Riga
Uraufführung
30.09.1951 durch Brahmanis, das lettische Radiosinfonie-Orchester unter Jansons
Aufnahmen
Juris Svolkovskis 1967 auf Melodiya
Valdis Zarins 1976 auf CD
Janis Ivanovs Violinkonzert ist ein Stück überzeitlicher Musik, dessen einprägsames Hauptthema man, einmal gehört, immer wieder hören will. Janis Ivanovs hat nur ein Violinkonzert geschrieben, zudem noch in der frühen lyrischen Phase seines Komponierens. Bekannter geworden ist Ivanovs, 1906 geboren in Lategale, einer multikulturellen Gegend Lettlands, als Sinfoniker, gibt es doch 21 Sinfonien, die seine ganze kompositorische Entwicklung von einem spätromantischen über einen sozial realistischen bis zu einem ganz eignen Personalstil widerspiegeln. Mit der 20. Sinfonie hat er sein ganz individuelles Requiem komponiert, die 21. Sinfonie blieb unvollendet. Seine Sinfonien werden leider nur in Lettland sehr geschätzt und aufgeführt, das musikalische Europa hat diesen grossen Sinfoniker leider noch kaum entdeckt.
Das Violinkonzert, 1951 noch unter Stalins Herrschaftszeit entstanden, sucht dem Vorwurf des Formalismus, den Ivanovs vom sowjetischen Komponistenverband für seine 5. Sinfonie erhalten hat, zu entgehen. Dazu konzentriert er sich auf eingängige Thematik und benutzt die traditionelle Konzertform, verwendet aber lettisches Volksliedgut. Das gibt dem ganzen Konzert eine optimistische Grundeinstellung und ist gleichzeitig ein Loblied auf seine Heimat Lategale. Damit setzt er sich von einer einheitlichen Ideologie des proletarischen sozialen Realismus ab und feiert subversiv die lettische Volkskultur mit Liedmelodien und mit einheimischen Volkstänzen.
Auch in anderen Kontexten kann dieses Violinkonzert Lebensfreude und Faszination ausstrahlen. Leider wird es bei uns nicht gespielt, wie vergessen gegangen in den dunklen Zeiten des Eisernen Vorhangs.
Hörbegleiter:
In düsteren Klängen öffnet sich ein Klang-Vorhang, der gleichsam die herrschenden dunklen Zeiten auf die Seite schieben soll. Unvermittelt erklingt dann in den Streichern ein einprägsames, hin und her mäanderndes, beschwingtes Hauptthema wie aus glücklichen Zeiten. Der zweite Thementeil ist eine Art Nachhall in den Bläsern. Dann setzt sich nochmals der erste Teil des Themas durch, jetzt aber sozusagen als Motto für das ganze Konzert.
Dann tritt die Geige in Doppelgriffen ebenfalls hinter dem Vorhang hervor, übernimmt auch gleich das pendelnd dahinschwingende einprägsame Hauptthema und führt es in wilden Figurationen zu virtuoser Brillanz. Auch das Orchester macht das Spiel mit diesem Leitthema fantasievoll mit.
Gesanglich führt dann die Sologeige das zweite Thema ein, und singt ihren schönen Gesang, bis sich im Zusammenspiel von Orchester und Solo das Thema langsam verliert.
In einer Art Durchführung taucht das Leitthema wieder auf, das immer mehr zu einem beglückenden Ohrwurm wird, und auch in allen vielfältigen und fantasievollen Abwandlungen dieser originellen Durchführung immer wieder erkennbar wird.
In der Reprise bringt die Solo- Violine das Hauptthema in ursprünglicher Form, improvisiert dann frei, bis das Orchester das Thema gross übernimmt und die Geige zur Kadenz einlädt. Auch die Kadenz entstammt dem Leitthema.
Danach stürzt sich die Geige, vom Orchester animiert, in eine wilde Coda. Nochmals meldet sich das zweite sanfte und gesangliche Thema. Von Hörnern und Bässen eingeleitet, wirft sich schliesslich die Geige in den wirkungsvollen Schlussschwung, der dann im nochmaligen Erklingen des Leitmotivs kulminiert.
Der zweite Satz beginnt mit einem gesanglichen Thema voller Poesie im Orchester. Die Geige übernimmt das friedvolle Singen und führt das Thema weiter. Kurz blitzt das Leitmotiv des ersten Satzes auf, als begrüsse es diesen wohl auch aus dem Geist lettischer Kultur stammenden Gesang. Auf jeden Fall reagiert die Geige mit virtuosen Kapriolen, als hätte sie Spass daran. Daraus entwickelt sich langsam ein fröhlicher Walzer, der zur Wiederholung des gesanglichen Themas zurückführt.
Dann ein plötzlicher Einhalt: Die Geige startet eine rustikale Polka, beschleunigt auf folkloristische Art lustvoll ihr Tempo, als ob ein Volksfest angesagt wäre. Ein paar mahnende Klänge - denn wir sind nach wie vor in einem langsamen zweiten Satz und in einer zensurierenden Musikkultur - führen zurück zum Anfangsgesang im Orchester und im Violinsolo. Nochmals setzt sich das Leitmotiv des ersten Satzes in Szene, mit leicht dunklen Schatten, doch die Geige steigt in stratosphärische Höhen.
Das Orchester beginnt mit einem wilden Tanz, die Geige springt dazu und treibt die Lust zum Tanzen weiter an, beschleunigt und dreht sich. Immer wiederholen sich die wilden Bewegungen des Tanzes, bis dann erkennbar die Geige auch das Leitthema des Konzerts in diesen Wirbel des Tanzes einbindet und das Orchester den Tanz zu einem ersten Abschluss führt.
Auf der G-Saite beginnt ein lyrischer Geigengesang, der dann gleich in die tänzerische Bewegung mit aufgenommen wird. Und nochmals insistiert die Geige mit ihrer G-Saiten-Lyrik. Dann aber kommt der Tanz grossartig zurück, Geige und Orchester wechseln sich in der Führung ab, bis sich das Leitthema erneut in der Geige meldet. Noch eine etwas trübe Melodie klingt an, die auch sofort in den Tanz mitaufgenommen wird. Dann nochmals Raum für die Kadenz der Geige, inspiriert auch sie vom Leitthema des ganzen Konzerts. Alsbald mündet alles in den wilden Schlusstanz, aber auch er überwölbt vom sich nochmals prominent darstellenden Leitmotiv, auf dass es über das Konzert hinaus im Ohr des Volkes und in uns Zuhörenden, wie von offizieller Seite damals gewünscht, gefälligst präsent bleibe.