Bohuslav Martinů: Concerto da camera, für Violine und Streichorchester mit Piano und Schlagzeug  H 285 (1941)

Beginn des Concertos da camera
Beginn des Concertos da camera

Bohuslav Martinů,

geboren am 8. Dezember  1890 in Polička, Ostböhmen, Österreich-Ungarn, 

gestorben am 28. August 1959 in Liestal, Schweiz) 

Entstehungszeit des Concertos da Camera:

1941 in den USA nach der Flucht aus Europa

 Uraufführung: 23. Januar 1942 in Basel

 CD-Empfehlung: 

Bohuslav Matoušek (Violine), Karel Košárek (Piano)

Czech Philharmonic Orchestra

Christopher Hogwood

Label: Hyperion 


Kurz nach seiner dramatischen Flucht aus Europa in die USA lieferte Martinu dem Basler Mäzen Paul Sacher ein von diesem bestelltes Violinkonzert ab, das den französischen Originaltitel trug: Concert pour violon et orchestre à cordes, piano, timbales, piatti et triangle. Die Uraufführung fand in Basel am 23. Januar 1942 statt. Weil Martinu das Konzert auch in den USA aufführen lassen wollte, gab er ihm den neuen Namen Concerto da camera, damit dieses Konzert nicht mit dem unterdessen komponierten 2. Violinkonzert von Martinu (Uraufführung am 31. Dezember 1943 durch Mischa Elman) verwechselt würde. Erst am 18. Februar 1949 wurde dann das umbenannte und in der Violinstimme etwas vereinfachte Concerto da camera in New York durch den Geiger Lous Kaufman für die USA erstaufgeführt. Man kann also sagen, dass es neben den beiden berühmteren Violinkonzerten No 1 und No 2 von Martinu noch ein drittes sozusagen klandestines Violinkonzert gibt.

 

Wichtiger aber als der Name ist der Hinweis auf Martinus Lebensumstände, als er diesen Auftrag von Paul Sacher erhalten hatte. Er befand  sich nach einer Flucht durch Frankreich 1940/41 in Lissabon und wartete inmitten des Chaos des 2. Weltkrieges auf eine Möglichkeit, in die USA zu gelangen. Am 29. Januar 1941 erhielt er die Anfrage von Sacher, Martinu entschuldigte sich, mit der schwierigen Aufgabe, ein Violinkonzert zu schreiben, könne er erst nach Ankunft in den USA beginnen. Schliesslich arbeitete er im Sommer 1941 an diesem Violinkonzert und verarbeitet in einem kreativen Prozess wohl gleichzeitig die erlebten Schwierigkeiten der Flucht und die neue Herausforderung, in den USA Fuss zu fassen.

Martinu schrieb im Programmheft der Uraufführung zum Konzert:  

 

«Das Violinkonzert in f-Moll, in drei Sätzen, wird nur von Streichorchester, Klavier und Pauken begleitet. Es handelt sich um eine Art Kammersonate, "sonata da camera, mit einem virtuosen Solopart von dramatischer Wirkung und mit Melodien slawischen Charakters. Der erste Satz in Variationsform stellt ein Thema vor, das sich im Solopart immer schneller entwickelt und im Orchester von  kraftvollen dynamischen Tuttis begleitet wird. Der zweite Teil ist eine Arie mit einer einzigen Melodie im gesamten Satz. Der dritte Satz ist thematisch mit dem ersten Satz verbunden, die Rondoform mit einer Kadenz, die im Gegensatz zu den üblichen virtuosen Kadenzen eine einfache Violinmelodie bringt, begleitet von stereotypen Akkorden im Klavier. Das Werk basiert nicht auf der rhythmischen Phrasierung einzelner Takte, sondern es verwendet Gruppen von mehreren Takten als Grundlage für seine Phrasierung. 

Hier zu hören:

1. Satz

2. Satz

3. Satz

 

Hörbegleiter:

 

Satz 1 (Moderato. Poco allegro)

Der erste Satz ist formal ein Variationensatz. In dunklem Beginnen und in einem für Martinu typischen Rhythmus lässt das Orchester und das Klavier ein Thema entstehen. Dann übernimmt die Geige das von synkopischen Impulsen geprägte Thema und damit auch die Führung des Geschehens. Sie variiert ihr Thema in immer schnellerer Entwicklung, im Orchester begleitet von kraftvollen dynamischen Tuttis. Das Anfangsmotiv der Geige wie auch der Rhythmus durchziehen über längere Zeit das Auf und Ab des Geschehens, mal etwas dramatischer, mal etwas versöhnlicher, aber auch mit dunklen Erinnerungen versehen. Das Ganze mündet in eine zögerliche Kadenz, vom Klavier begleitet und vom Anfangsmotiv bestimmt. Klänge und Geräusche werden ausprobiert, seltsame Nervosität herrscht, dann geht das Geschehen in etwas hellerem Licht weiter bis zur Schlusssteigerung, die stockend schliesst und in einem überraschend harmonischen Akkord ausklingt. 

Satz 2 (Adagio)

«Der zweite Teil ist eine Arie mit einer einzigen Melodie im gesamten Satz» (Martinu im Programmheftentwurf der Uraufführung). Das Streichorchester beginnt mit der absteigend traurigen Melodie, das Klavier setzt mit einem wiegenden, fast minimalistisch repetitiven Motiv ein. Schliesslich übernimmt die Geige das Arienthema, das Klavier begleitet mit gläsernen Klängen und führt die Musik, die zwischen Verzauberung, Lyrik und Resignation schwankt, in immer seltsamere Regionen. Nach einem dramatischen Aufruhr beruhigt sich das Geschehen. Die Geige spielt die Arie rezitativisch weiter, auch sie chaotisch sich verlierend. Akkorde des Klaviers klingen in der Tiefe mit. In der Einsamkeit der Geige verliert sich der Satz.

Satz 3 (Poco allegro)

«Der dritte Satz ist thematisch mit dem ersten Satz verbunden, die Rondoform mit einer Kadenz, die im Gegensatz zu den üblichen virtuosen Kadenzen eine einfache Violinenmelodie bringt, begleitet von stereotypen Akkorden im Klavier.» (Martinu) Gleich zu Anfang wieder diese für Martinu typische verschobene Rhythmik, die über einzelne Taktzahlen hinaus eigene rhythmische Elemente hervorbringt. Die Solo-Geige spielt vorerst wie in einem Concerto grosso den Part der ersten Violinen mit, und löst sich erst mit der Zeit mehrfach aus dem Tutti heraus, mit dem rhythmisch geprägten Rondothema in lyrischer Ausprägung. Die immer mehr sich ausbreitende tänzerisch-fröhliche Stimmung wird schliesslich von einem wilden Ausbruch im Klavier unterbrochen und führt  hin zu einer einsamen, ungewohnt lyrischen Kadenz im poco andante der Geige, nur von leisen und hohen silbrigen Akkorden des Klaviers begleitet. Ein Moment des besinnlichen Ausruhens, bevor dann die Pauke und Klavier zur Schlussstretta antreiben.


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

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