Otar Taktakischwili: Konzert Nr. 2 für Violine und Kammerorchester (1986/1987)

Beginn des ersten Satzes
Beginn des ersten Satzes

Otar Taktakischwili 

geboren 27. Juli 1924 in Tbilissi

gestorben 21. Februar 1989 in Tbilissi

 

Uraufführung

um 1987 mit Liana Issakadze ??

 

CD-Aufnahme

Liana Issakadze mit dem Georgischen Kammerorchester 1992


Einige wenige Jahre vor seinem Tod und kurz vor dem Untergang der Sowjetunion schrieb Otar Taktakischwili ein zweites Violinkonzert. Im Unterschied zu seinem ersten gross angelegten Violinkonzert in f-moll (1976) beschränkte sich das zweite Violinkonzert (1986) auf ein reines Streichorchester (ad libitum kann laut Partitur an einer Stelle ein Klavier dazukommen). Beiden Violinkonzerten ging ein Concertino C-Dur (1956) für den Geiger David Ostrach voraus.

Im Alter von 62 Jahren, als Taktakischwili das zweite Violinkonzert komponierte, hatte er in Georgien bereits ein bedeutendes umfangreiches Werk in allen musikalischen Gattungen geschaffen. Opern, Orchesterwerke, Chormusik und Kammermusik gehörten dazu.  Im Westen ist Taktakischwilli vor allem den FlötistInnen bekannt, mit einer für sie dankbaren Flötensonate in C-Dur. Taktakischwili war eine bedeutende Musikerpersönlichkeit und prägte das musikalische Schaffen in der Sowjetrepublik Georgien. Er lehrte lange Jahre am Konservatorium in Tbilissi und wirkte als Chordirigent des berühmtesten Chores Georgiens. Taktakischwili war vielfältig tätig, nahm führende Posten im georgischen und sowjetischen Komponistenverband wahr und amtete von 1965 bis 1984 auch als georgischer Kulturminister.
Taktakischwili stammt aus einer alten abchasischen Adelsfamilie, in der Musik Tradition hatte. Seine Mutter war Opernsängerin in Tbilissi.

 

Bei einer so bedeutenden nationalen Persönlichkeit wie Taktakischwili fällt auf, dass er in diesem bemerkenswerten Alterswerk für ein Violinkonzert eher knapp (16 Minuten Dauer) und ohne grosses Orchester auftritt. Der musikalische Anspruch ist gekonnt reduziert. Taktakischwilis Musikstil ist generell von der Volksmusik Georgiens inspiriert und gleichzeitig vom sowjetischen sozialen Realismus geprägt. Aufgabe der Musik sei es, die Seele zu berühren und «auf die menschlichen Gefühle, die menschlichen Emotionen und die menschliche Seele zu wirken». Auch wenn Taktakischwili gegenüber serieller Musik im Westen seine Vorbehalte hatte, wusste er um die Musik ausserhalb Georgiens und schätzte Komponisten wie Carl Orff, Hans Eisler, Kurt Weill, Paul Dessau, Hans Werner Henze und natürlich Prokovjew sowie Schostakowitsch. Gerade in diesem seinem Alterswerk, seinem zweiten, nur etwa 16minütigen Violinkonzert sind solche Einflüsse festzustellen. Hinzu kommen in diesem Konzert neobarocke Stilelemente. Alle Einflüsse verschmelzen spielerisch zu einer sowohl skeptisch-ironischen wie auch in Georgien verwurzelten, tief humanen Komposition. 

Hier zu hören!

Satz1 (Allegro moderato)

Aus der Ferne pochen in Halbtonschritten leise Streicherachtel, darüber sucht die Geige zögernd hoch oben nach ihrer Melodie, findet dann in tieferem Geigenklang einen Abgang in punktiertem Rhythmus. Ein Anfang, der sofort gefangen nimmt, umso mehr, als sowohl das Pochen wie das Suchen weitergeht, bis die Geige dann einer schlichten kurzen Melodie im Streichorchester die Führung überlässt. Aber auch diese Melodie stockt, und das Pochen und das Suchen beginnt wieder. Als Nebenthema ersetzen die ersten Violinen ihr Pochen durch eine absteigende halbtönige Begleitfloskel, über der jetzt die Geige zu ihrer Melodie findet (2. Thema im Sonatensatzformat), charakterisiert ebenfalls durch Halbtönigkeit und modal eingefärbter Harmonik. Die Geige beginnt zu singen, nur leise Harmonien und gelegentlich wieder die im Hintergrund auftauchenden Begleitfloskeln stützen sie. Langsam klingt die feine poetische Stimmung erschöpft aus.

Forte setzt das Pochen erneut ein, jetzt fast maschinell und futuristisch laut, überwältigend, und treibt die Geige in wilden Stress (= Reprise). Die andauernd hämmernde Hektik des Industriezeitalters verdrängt jegliche Poesie, ist aber nicht ganz tot zu kriegen, ganz leise meldet sich die Begleitfloskel und die Geige beginnt nochmals leise und noch sphärischer zu singen, immer nostalgischer, bis sie mit langem Triller und Pizzicatos zum Schlussteil und zu einer erträumten Versöhnung von Pochen und Poetik findet.

Satz 2 (Andante)

Versöhnte Dialektik in der Gegenwart braucht auch die Vergangenheit: das Streichorchester eröffnet den zweiten Satz in schwerem neobarocken Ouvertüre-Stil. Die Geige schliesst mit einem dramatischen Rezitativ an, bis das Orchester schliesslich mit ihrem barocken Sound zur Arie der Geige überleitet. Wie eine barocke Sängerin verziert sie ihre traumhaft schöne Gesangslinie, wird zusätzlich von einem Solocello einfühlend und terzenschön begleitet und führt die Arie in höchste Sphären. Und lässt sie dann dort einfach stehen.

Satz 3 (Finale. Allegro molto)

Wieder wie aus der Ferne nähern sich leise wilde Geigenfloskeln der Solovioline, das Pochen des ersten Satzes ist gleich auch wieder zu hören, beschleunigt dann aber in rhythmisch versetzte Triolenbegleitung. Geige und Orchester stressen sich gegenseitig. Nach schleifenden Glissandi taucht eine folkloristisch-schlichte Liedmelodie in betontem Zweierrhythmus auf, von Col-legno-Schlägen auf die hölzernen Geigenkörper begleitet. Der Zweierrhythmus erschöpft sich und schliesst mit zwei Pizzicatos.  Erneut setzt das Pochen ein, wieder Geigenstress - bis zu einem markanten Unisono-Thema des ganzen Orchesters, das in seiner Einstimmigkeit wie ein verzerrter alter Hymnus daherkommt (mit kurzer Erinnerung der Geige an ihre Arien-Melodie im zweiten Satz). Danach beschleunigen Orchester und Geige das Tempo und gelangen zu einer Art Reprise. Aus dem Kurz-kurz-Lang der Geigenfloskel des Beginns wird ein finales Thema für eine wilde und effektvolle Schlussjagd. Nochmals bringt sich kurz die folkloristische Liedmelodie in Erinnerung, dann aber stürzt sich dieses leichtgewichtige, aber hintergründige Werk in einen Prestissimo-Wirbel voller Lebensbejahung. 


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