Mieczysław Samuilowicz Weinberg
(auch Wajnberg und Moishei Vainberg)
geboren 8. Dez. 1919 in Warschau
gestorben 26. Feb. 1996 in Moskau
Uraufführung: 12. Feb. 1961
CD-Empfehlung:
Kogan 1961
Ilya Grubert 2003
Linus Roth 2013
Gidon Kremer 2020
Schostakowitsch schrieb nach erstem Anhören dieses Konzertes im Komponistenverband an seinen Freund Isaak Glikman, er sei «vom Violinkonzert von M.S. Weinberg beeindruckt, vom kommunistischen Violinisten L.B. Kogan grossartig interpretiert. Es ist ein herrliches Werk. Und ich wäge meine Worte.» Gibt es eine bessere Empfehlung, sich diesem Werk hörend erneut zuzuwenden?
Weinberg, geboren 1919 in Warschau, 1939 vor den Nazis aus Polen nach Minsk und später nach Taschkent geflohen, lebte zu dieser Zeit in Moskau, wurde aber nie Parteimitglied. Dennoch feierte er in den besten Konzertsälen Moskaus ab den 60er Jahren schöne Erfolge. Bis 1953 (Stalins Tod!) war auch er vom stalinistischen System lebensbedrohend verfolgt. Schostakowitsch setzte sich immer wieder für seinen Freund ein und stand auch als Komponist mit ihm in regem Austausch. Weinberg komponierte Opern, 21 vollendete Sinfonien, Sonaten und 17 Streichquartette. Das 1961 uraufgeführte Violinkonzert hat wie das erste Violinkonzert von Schostakowitsch nicht traditionell drei, sondern vier Sätze. Der Solist ist ständig im Einsatz, virtuos gefordert. Ob man dieses Werk aus der Biografie eines jüdischen Flüchtlings (vgl. gleich Fidelklänge am Anfang), oder aus der Musiksituation zwischen eigenem Kunstwollen und Anpassung in der Sowjetzeit verstehen soll (Weinberg sagte einmal er sei ein Schüler von Schostakowitsch, sein «Fleisch und Blut»?). Oder gar politisch als kommunistisch aufgezwungener Optimismus und innere Emigration? Und doch höre ich in diesem Konzert noch anderes als bei Schostakowitsch. Es ist beunruhigender, schwankt existenzieller zwischen Getriebensein und eigenem Schwung, zwischen Manischem und Träumerischem, Verzweiflung und Ruhe. Viele sagen: ein Meisterwerk, doch vielen ist es leider noch gar nicht bekannt.
Hier zu hören:
Formal folgt dieser Satz dem klassischen Sonatensatzschema, zuerst ein rhythmisch wildes, fast derbes erstes Thema (mit Anklänge an osteuropäische jüdische Geigenmusik, nur unheimlicher), dann ein von Celesta und Harfe begleitetes zweites lyrischeres Thema. Zur Derbheit meint der Geiger Linus Roth einmal: «Seine Musik hat etwas, das einen irgendwie immer stört». Und wirklich: die vollgriffig anpackenden Akkorde, die auf tiefen Saiten sich wiederholenden Motivfetzen, die rhythmische Wildheit geben dem Stück etwas Manisches, etwas krankhaft Suchendes, ist Ausdruck von Angst und Bedrohung. Die Geige fühlt sich getrieben, stürzt sich in die wilde Durchführung des ersten Themas und in dessen heftiges Insistieren, flieht vor dem gewalttätig immer wieder ausbrechenden Orchester, steigert sich in die Verrücktheit manischer Wiederholungen. Auch dem zweiten Thema gelingt es nur leicht, die Situation etwas zu beruhigen, auch dieses Thema bleibt suchend, oft von Celesta und Harfenklängen leicht entrückt, wirkt gläsern und kühl. Als das zweite Thema in der Reprise wiederkommt, hofft man auf ein verklingend beruhigendes Ende, aber erneut wütet das erste Thema, keine Chance zu entkommen.
In dunklem Unisono beginnend, aufsteigend und sich wieder verlierend bereiten die Streicher des Orchesters den Einsatz der Solostimme vor. Die gedämpfte Geige (con sordino) beginnt gleich wieder mit einem manisch insistierenden Motiv, das sich ständig wiederholt, einzig etwas gedämpfter, als hätte man der psychisch angeschlagenen Geige Medikamente gegeben, aber es brodelt etwas Krankhaft-Angstvolles weiter, etwas Verstörtes. Holzbläser übernehmen und spiegeln diese langen Melodien der gedämpften Geige, als würde die Geige Stimmen hören, die ihr folgen. Aber alles immer sehr gleichgültig, fast stillgestellt am Schluss, bevor die Geige dann (formal in einer Art Kadenz) hinführt zu sehr hohen, gläsernen, aber auch erwartungs-vollen Tönen, die attacca zum nächsten Satz überleiten.
Dann singt die Geige ein Lied, vom Streicherklang warm untermalt, ein Lied, das auch, aber nur ganz leise diese sich wiederholenden manischen Töne enthält, aber jetzt ruhig, fast träumend diese tragischen Motive verinnerlicht, gleichsam aufhebt. Und dreimal führt dieses Singen in allen Tonlagen hin zu einem ruhenden Einhalten der Orchesters (ein Tam-Tam kommt dazu), wunderschön, wie ein Zauber, auf dem die Geige in höchster Lage ausruht, dreimal, und doch ist man sich nicht sicher, wie real das ist, wohin das führen wird.
Dann aber bricht der Taumel wieder los, ein Tanz, Freude oder doch eher wilde Verzweiflung? Das Orchester beginnt, ist es ein Tanz oder ein Marsch, Freude oder Gewalt ... die Geige stürmt los… auch hier nicht ohne diese magischen Motiv-Wiederholungen in den Melodien. Es folgt nach einem Flötenmotiv eine ruhige Phase, die zwar immer noch diese Wiederholungen enthält, aber ruhig begleitet von einem verständnisvollen Orchester. Eine gewissen Ermattung tritt ein. Aber dann kommen immer wieder dieser Marsch, die Trompetenmotive, die Paukenschläge, die vorwärtsdrängen. Die Geige folgt, versucht sich anzupassen, oder versucht sie zu entfliehen? Nach mehreren heftigen drohenden Paukenschlägen erscheint nochmals das Anfangsmotiv des ersten Satzes, die Geige aber flieht in eine G-Dur Traumwelt (der Kunst?). Sie verklingt ganz hoch auf einem G, von einem wohlklingenden Dur-Akkord des Orchesters empfangen.