Francisco Coll
geboren 1985 in Valencia
Uraufführung
2014 durch Pekka Kuusisto, der Britten Sinfonia unter der Leitung von Thomas Adès
Einspielungen
Augustin Hadelich 2016 (Aufnahme BBC Proms)
Patricia Kopatchinskaja 2020 (CD)
Muss die sogenannte zeitgenössische Musik immer so schwierig anzuhören sein?
Mit den vier iberischen Miniaturen für Geige und Kammerorchester ist dem damals 29 jährigen spanischen Komponisten Francisco Coll, Schüler von Thomas Adès in London, ein Violinstück gelungen, das sich dekonstruierend in die spanisch beeinflusste Violinliteratur von Sarasate bis zu Ravels Tzigane einfügt. Dabei geht es bei Coll bei aller Kunstfertigkeit der Komposition und bei aller versteckten Lebenstragik nicht ganz ohne kompositorisches Schmunzeln ab.
«Ich komponiere Musik, die ich selbst gerne im Konzertsaal hören möchte.» Die 4 Miniaturen sind denn auch ein spanisches Bravourstück im Gewand aktueller zeitgenössischer Musik. Sie machen beste Werbung für das Hören von zeitgenössischen Kompositionen.
Sofort führt uns ein Jota, ein typisch spanischer Tanz im Tripeltakt, mitten ins musikalisch-rhytmische Geschehen hinein. Spitze Sologeigenfiguren, Glissandi und das gitarrenmässig orchestrierte Kammerorchester übernehmen die Tanzimpulse, verzerren aber immer wieder die Erwartungen, die man mit einem geregelten Tanzrhythmus verbindet. Schlaginstrumente (Crotales, Roto-Toms, Guiro, Slide Whistles, Kastagnetten, Klavier und andere) mischen sich ein. Die Geige nützt ihre Pizzicato-Virtuosität. Ein heftiger Schlag des reich besetzten Schlagwerks beruhigt die hektische Tanzvorführung. Klänge, Rhythmen, Pizzicato-Gitarren-Imitation vermischen sich, bis alles immer mehr in einen Fandango und Flamenco-Klatschen mündet und schliesslich stockend erlahmt.
Meditativ und langsam beginnt die Sologeige in dunklem Ton den zweiten Satz. Ist es Melancholie oder gar Trauer nach der Ausgelassenheit des ersten Satzes? Gewaltsame Schläge des Klaviers und des Orchesters unterbrechen diese Stimmung und drängen die Sologeige zu wildem Aufbegehren. Mit der Zeit aber folgt die Sologeige wieder ihrem eigenen Gesang. Erst wenn sich Kastagnetten und Pizzicato-Streicher einmischen, wird der iberische Rhythmus einer Habanera erahnbar. Die Musik wird lauter und endet in Entschlossenheit.
Ein Klaviersolo eröffnet den dritten Satz, leise setzt die Geige ein und spielt eine sehnsüchtig weitgespannte Melodie. Doch statt spanischer Rhythmen ein Aufschrei und trotziges Aufbäumen. Wieder versinkt die Sologeige in ihre eher depressive Stimmung. Das Orchester will sie mit einem seltsam lahmen Rhythmus wieder abholen. Doch die Geige bricht abrupt ab.
Schiefe Rhythmen und heftige Orchesterakkorde brechen unvermittelt über uns herein. Erzählen von Gewalt und Drama, aber lassen immer wieder rhythmische Neuansätze erkennen. Ein fast surreales Geschehen, bis die spanische Rhythmik wieder durchbricht und entschlossen zum lauten Schlussakkord hinführt.