Unsuk Chin: Violin Concerto (2001)

Unsuk Chin

geboren 14. Juli 1961 in Seoul, Südkorea

 

Uraufführung:

20.01.2002 durch Viviane Hagner und dem Deutschen Symphonie-Orchester unter der Leitung von Kent Nagano 

 

CD-Aufnahme:

2008 Viviane Hagner

 


Als Violinkonzert sei diese Komposition von Unsuk Chin "das erste Meisterwerk des neuen Jahrhunderts", meinte eine Kritik, als das Konzert  im März 2008 in Montréal uraufgeführt wurde. Für Chin ist es wichtig, dass ihre Kompositionen nicht einfach auf südkoreanische Musik festgelegt werden. Obwohl in Südkorea geboren, wurde sie musikalisch prägend in Europa ausgebildet, und studierte unter andern bei György Ligeti. Sie lebt seit 1988 in Berlin.

Ein Zitat von ihr kann gut in ihr Violinkonzert einführen und hilft, unser eigene Hörerwartung adäquat voreinzustellen: „Meine Musik ist das Abbild meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und von unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke, versuche ich in meiner Musik darzustellen als ein Spiel von Licht und Farben, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klangskulptur bilden, deren Schönheit sehr abstrakt und auch distanziert ist, aber gerade dadurch unmittelbar die Gefühle anspricht und Freude und Wärme vermittelt.“

Zur Form: Das Konzert ist ungewohnt, aber gleich wie Unsuks Piano- und Cellokonzert, viersätzig (4 Movements!) und folgt den Satzcharakteren einer klassischen Sinfonie, mit einem einführenden und exponierenden ersten Satz, einem langsamen und einem scherzohaften sowie einem Schlusssatz, der zum Schluss an den Beginn erinnert.

Die Violine steht dem Orchester gegenüber, sie schwebt öfters sogar über dem Orchesterklang, der meist trägt bzw. manchmal heimlich bedrohlich wirkt.

 

Das Violinkonzert von Unsuk Chin wurde 2004 mit dem prestige- und finanzträchtigen Grawemeyer-Preis der Universität Louisville für Musikkomposition ausgezeichnet.

Hier zu hören!

Satz 1 (Movement I überschrieben)

Alles fängt im Dunkeln an. Liegende, sich sanft bewegende tiefe Klänge zweier Marimbas bilden den Untergrund, dazu zieht die Sologeige eine zarte Linie, gemischt aus Flageoletten, Obertonklängen und den leeren Saiten der Geige. Quinten, der Abstand der leeren Saiten auf der Geige, eröffnen den Raum, aus dem alles entsteht. Harfen zupfen, Akkorde verschieben sich, ihre sonore Bewegung lässt einen feinen Klangraum entstehen und anschwellen, der dann unvermutet auf der leeren G-Saite der Sologeige gleichsam ausblendet. In einer Art Kadenz, sozusagen in einem musikalische Zoomen, stellt die Geige sich und ihren Quintenklangraum vor, als würde sie sich nochmals auf das, was geschehen wird, einstimmen. Sie übt ihre Läufe und Möglichkeiten, gleichsam verträumt improvisierend. Leise Paukenschläge und Flöteneinwürfe begleiten. Dann folgen auffällige Schleifer über die hohen Saiten und beenden die Kadenz. Die Geige drängt vorwärts. Die Bewegung wird schneller und gipfelt in einem Moto perpetuo des ganzen Orchesters, das von Einwürfen von Flöten, Harfen, Xylophon und Bläsern angetrieben wird. Immer heftigere Orchesterschläge treiben die Geige vor sich hin. Dann ein Moment der Ruhe, es folgt eine weitere Kadenz, konturierter als zuvor sich vom zarten zum energischen Spiel steigernd. Das Orchester tritt wild dazu. Ein anhaltender Blechbläserakkord und wilde Läufe in den Streichern leiten den lärmenden Höhepunkt des Satzes ein, ein Traum wird zum Albtraum, das Orchester treibt die Solistin in wilde Verzweiflung, bis sie ermattet abstürzt. 

Satz 2 (Movement II)

Der langsame zweite Satz setzt mit einer wieder beruhigten langen Linie der Violine ein, begleitet zuerst von regelmässig zupfenden Harfen und leisem Schlagzeug, dann von sanften Klängen des Orchesters. Die Streicher schwirren sanft. Die warme Konsonanz, die hier zu hören ist, erinnert zusammen mit ihrer hell glitzernden Oberfläche (die durch Gongs nach unten erweitert wird) an eine Klangwelt, die wir etwas oberflächlich mit Asien verbinden. Aber es ist keine Klischee-Ruhe, die Klänge entwickeln sich in vielfältigem Suchen vorwärts im Raum, dahin und dorthin, manchmal schon fast etwas nervös. Plötzlich schneidende Blechbläserakkorde, die Geige wacht verwirrt auf, und erst langsam beruhigt sich die Stimmung wieder. Wie im ersten Satz tauchen wieder lange Blechbläserakkorde auf, die aber jetzt Geige, Orchester und uns Zuhörende langsam wieder zurückführen in tiefe Ruhe. 

Satz 3 (Movement III)

Kontrast ist angesagt, Rhythmus statt ruhende Klänge. Pizzicati, heftiges Reissen der Saiten, zupfende Melodiefetzen in der Geige übernehmen die Führung, unruhige Rhythmen und deutliche Schläge prägen diesen Satz, als wolle er an den Scherzo-Satz der traditionellen Sinfonik erinnern. Immer mehr gerät die Geige in die Fänge das Orchesters, sie widersteht vorerst, flieht, entzieht sich dann in stratosphärische Höhen, versteckt sich. Ein Moment Pause, dann zupft die Geige wieder ihre Pizzicati und Rhythmen, das Orchester aber hat genug und scheint sich unwillig neu stimmen zu wollen, Quintenklänge, die Geige bleibt mit ihren gezupften Rhythmen allein, Ende.


Satz 4 (Movement IV)

Die vier leeren Saiten und die Quinten zwischen ihnen bildeten den Ausgangspunkt für die ersten drei Sätze. Das vierte «Movement» gerät anders in Bewegung. Es beginnt in ganz hoher Lage, umspielt einen Ton, von dem aus dann das Spektrum der Klänge nach unten erweitert wird. Schrille Geige, Einwürfe von Flöten und hohen Trompeten, alle Klänge in höchster unangenehm fiebriger Hochlage, hitziges Träumen, manische Wiederholungen, man wird kaum wach, nur diese unangenehme psychisch-akustische Stimmung bleibt, will nicht aufhören. Dissonante Virtuosität in der Geige und alptraumhafte Orchesterbewegungen überlagern sich, man ist als Hörer von der Dichte all dieses Geschehens überfordert, bedrängt, gefangen: Ereignisdichte unserer Zeit, Hektik, Stress……. Dann aber eine unerwartete Beruhigung, ein Zurückgehen in die Klangräume der Stille, wohltuende Quinten, zurück zum Anfang des Konzertes, zu den feinen Linien der Violine des Anfangs, Aufatmen und Schluss in Ruhe, auch wenn eine gewisse Beunruhigung gerade nach diesem Schlusssatz bleibt. Aber einer der vielen Kreise des Kosmos ist wieder abgeschlossen.


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