Johann Georg Pisendel: Violinkonzert D-Dur (Jung I.7)

Beginn des Vivace, oben links Pisendels Christus-Signum α//ω
Beginn des Vivace, oben links Pisendels Christus-Signum α//ω

 

Johann Georg Pisendel

geboren 26. Dez. 1687 in Cadolzburg 

gestorben 25. Nov. 1755 in Dresden

 

Entstanden
zwischen 1730 und 1750

 

Aufnahmen:

1986/87 Roland Straumer (nur erster Satz !)

1998 Gottfried von der Goltz

2021 Mayumi Hirasaki


Einer der wichtigsten deutschen Geiger der Barockzeit war Johann Georg Pisendel (1687–1755). Obwohl er selbst im Vergleich zu andern Barockkomponisten relativ wenig komponiert hat, hat er doch in seiner Funktion als Geiger-Komponist und späterer Konzertmeister am Dresdner Hof unter dem Kurfürsten August dem Starken und dessen musischem Sohn Friedrich August III viel beigetragen zur Verbreitung von Violinkonzerten in Deutschland. Er hat viele Kompositionen kopiert bzw. kopieren lassen und für die Dresdner Hofkapelle arrangiert. Da er auf einer Reise in Italien auch Vivaldi kennenlernte und dessen Konzerte selbst spielte, hat er Abschriften von Konzerten seines Freundes Vivaldi mit nach Dresden mitgenommen und zu einer bemerkenswerten Vivaldi-Pflege am Dresdner Hof beigetragen. Über ihn hat auch J.S.Bach von Vivaldi erfahren.  

 

Besondere Bedeutung hatte Pisendel als Konzertmeister für die Verfeinerung und Verbesserung der Orchesterpraxis bei Aufführung vieler Werke seiner Musikerkollegen wie Telemann, Fasch, Zelenka, Heinichen und Hasse, deren Kompositionen unter seiner Leitung am Dresdner Hof gespielt wurden.

 

Von seinen eigenen Kompositionen sind neben Sonaten für die Geige vor allem 12 prachtvolle Violinkonzerte erhalten. Das im Folgenden vorzustellende Violinkonzert D-Dur (nach der Zählung von Jung 1.7) ist in mehreren, leicht unterschiedlichen Abschriften in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden aufbewahrt. Die leicht unterschiedlichen Notenkopien  bezeugen, dass auch dieses Werk an verschiedenen Orten, Kirchen und Palästen Dresdens aufgeführt wurde und so ein «Work in progress» genannt werden kann. Da unterschiedliche Orgelstimmen überliefert sind, ist anzunehmen, dass einzelne Sätze auch bei Kirchenaufführungen in verschiedenen Kirchen Dresdens gespielt wurden.
Sein späterer Biograph Johann Friedrich Agricola (1720 – 1774), ein breit gelehrter Bachschüler, der eine ausführliche Biografie Pisendels verfasste, schrieb:

 

«Er war in der That, aber mit Unrecht, zu furchtsam vieles zu setzen und bekannt werden zu lassen. Er trauete sich in der Composition selbst weniger zu, als er wirklich vermochte. Er war niemals mit seiner eigenen Arbeit zufrieden, sondern wollte sie immer noch verbessern; ja er arbeitete sie wohl mehr als einmal um. Diese Vorsichtigkeit war nun wohl wirklich etwas übertrieben.»

 

Auf Pisendels pietistische Frömmigkeit deutet das Christus-Symbol α//ω (Alpha//Omega) hin, mit dem er seine eigenen Kompositionen versah. Heute ist es ein Hinweis auf die garantierte Autorschaft Pisendels, aber wohl auch Zeichen einer transzendenzoffenen künstlerischen Selbsteinschätzung.  

 

Hier zu hören!

 

Hörbegleiter:

 

 

Satz 1: Vivace

Gleich im Eröffnungsritornell präsentiert Pisendel die ganze Pracht seines Orchesterklanges in mitreissendem D-Dur. Die Bläsersolisten – Hörner, Oboen, Fagott – und der Streicherchor strahlen Aufbruch, Unternehmungs-lust und Festfreude aus. Erst nach längerem Brillieren der Bläser und dem dritten Insistieren dieses elementaren D-Dur-Anfangsmotivs tritt die Sologeige mit ihrer sinnierenden Eingangskadenz auf. In brillantem Vivace übernimmt die Geige dann die Führung mit speziell einfallsreichen Figurationen, wie sie für die ausgefeilte Virtuosität Pisendels typisch waren.

 

Die Hörner-Solisten mischen sich wieder ein, das Orchester unterbricht mit wirkungsvollen Läufen den Auftritt der Geige, die aber bald wieder zu ihren sprechenden Pisendel-Figurationen findet und sich innerhalb des höfischen Prunks mutig ihrer eigenen Vernunft zu bedienen weiss.

 

Erneut unterbricht das Anfangsritornell die Sologeige, die danach immer noch waghalsigere Figurationen und Spielweisen präsentiert und damit zeigt, was Können bedeutet.

 

Das Abschluss-Ritornell des Orchester-Tutti breitet sich nochmals in seiner ganzen, alles Höfische würdigende Pracht aus. Beides, das unglaubliche Können der einzelnen Soli, aber auch die herrschende Klangpracht des Hofes, hallen noch lange im Ohr der Zuhörenden nach.

 

Satz 2: Andante

In punktiertem Rhythmus beginnt das Orchester mit einem schlichten Thema. Die Sologeige setzt mit originellen Vorläufen ein und umspielt dieses schlichte, rhythmisch geprägte Themea mit ihren Verzierungen.

 

Das Orchester und die Sologeige wechseln sich ab und schreiten so miteinander, dem Rhythmus des Themas folgend, voran und füllen Raum und Zeit mit schlichten Klängen, bevor sie sich dann attacca in den Schlusssatz stürzen.

 

Satz 3: Allegro

Hörnerfanfaren, Oboenechos und schnelle Streichersynkopen prägen die Thematik des fast hektisch voranstürmenden Ritornells des Schlusssatzes.

 

Die Soloteile der Geige nehmen an diesem eiligen Voranpreschen der Musik und dieser imaginären Jagd auf etwas Nicht-Einzuholendes teil. Im ständigen Hin und Her zwischen Orchestertutti und eigenem Spiel, das wiederum fantastisch virtuos die Geigenklangmöglichkeiten auskostet, stürzt die Geige voran und wird erst am Schluss vom Orchesters gleichsam wieder eingefangen. Mit einem knappen klangvollen Schluss-Statement setzt das Orchester aller Brillanz und Virtuosität ein stolzes Ende. 

 


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