Georg Philipp Telemann
geboren 24.März 1681 in Magdeburg
gestorben 25. Juni 1767 in Hamburg
Entstehung:
Violinkonzert G-Dur TWV 51:G8: vor 1717 wahrscheinlich in Eisenach oder Frankfurt
Violinkonzert in B-Dur TWV 51:B1 «Pisendel-Konzert» in Dresden 1719
Ouvertüren-Konzert für Violine, Streicher und Basso Continuo TWV 55:D14: in Abschriften aus Dresden (Pisendel) zw. 1712-20 und aus Darmstadt 1730 (Graupner)
CD
Elizabeth Wallfisch, 2002 - 2009
Nur Pisendel Concerto:
Pramsohler 2011
Sinkovsky 2016
Die folgenden drei Violinkonzerte von Georg Philipp Telemann (1681 – 1767) dokumentieren nicht nur je deren eigene Originalität, sondern auch die fantasievolle Vielfalt von formalen Möglichkeiten Telemannscher Violinkonzerte. Es sind über 20 ziemlich unterschiedliche Violinkonzerte von ihm erhalten, zudem noch Ouvertüren-Konzerte mit bedeutenden Violinsoli, die sich an der Suitenform anstelle der Concerto-Dreisätzigkeit orientieren. Auch musikalisch mischen sich bei Telemann deutscher, italienischer und französischer Stil. Dass Telemann mit dem italienischen Stil nicht warm wurde, bezeugt ein Zitat aus seiner Autobiografie, wo er schreibt: «dass ich in denen meisten Concerten / so mir zu Gesicht komen / zwar viele Schwürigkeiten und krumme Sprünge / aber wenig Harmonie und noch schlechtere Melodie antraff / wovon ich die ersten hassete / weil sie meiner Hand und Bogen unbequehm waren / und / wegen Ermangelung derer letztern Eigenschafften / als wozu mein Ohr durch die Frantzösische Musiquen gewöhnet war / sie nicht lieben konnte noch imitieren mochte.»
Hier meine Auswahl der entsprechend besonderen Violinkonzerte Telemanns:
Noch ganz im italienischen Stil von Albinoni und Vivaldi gestrickt, überrascht dieses kaum 7 Minuten dauernde Konzert durch seine vitalen Ecksätze und durch einen zarten und berührenden Pianissimo-Mittelsatz. Ob es für Telemann selbst, der Geiger war und noch viele andere Instrumente beherrschte, geschrieben wurde oder für den Eisenacher Geiger Pantaleon Hebenstreit, lässt sich nicht erweisen. Im dritten Satz sollen den Themen polnische Tanzsätze zugrunde liegen, Telemann hat am Hofe von Sorau, dem Ort einer seiner ersten Anstellungen, polnische Musik kennen und schätzen gelernt.
Satz 1 Allegro
Ein sich auf- und abwärts bewegendes G-Dur Ritornell-Thema beginnt im vollen Streichertutti (inklusive Solovioline, die mitspielt), zudem mit zwei Oboen verstärkt. Unspektakulär beginnt die Geige mit dem gleichen Thema, spinnt es aber – unterbrochen von Orchesterzwischenrufen – weiter bis zu einem von Synkopen geprägten Übergang, der zum kurz aufscheinenden Ritornell-Thema in A-Dur führt. Die Geige verziert mit Sechszehntel Figurationen, bis das die gesamte Wiederholung des Tutti-Ritornells, diesmal aber in D-Dur, wiederkommt. Der nächste Violin-Soloeinsatz bringt ein neues rhythmisch antreibendes Motiv, das sich in wilde Sechszehntel auflöst. Das nächste Tutti bringt wieder das Ritornell-Thema in A-Dur, mit entsprechenden virtuosen Figurationen, von Synkopen der Oboen begleitet. Dann ist G-Dur wieder erreicht, Orchester und Violine mit neuen noch wirkungsvolleren Doppelgriff-Verzierungen lösen sich ab, dann beschliesst das Orchesterritornell den Satz.
Satz 2 Andante
Leise stellt das ganze Orchester ein schlichtes melodiöses Thema in drei sich antwortenden Teilen vor. Dann setzt die Geige eine Quint höher mit dem gleichen Thema ein, entwickelt es aber durch berührend schöne Seufzerfiguren und harmonisch gleichsam schwebende Kantilenen weiter. Zwischendurch mischt sich kurz eine Oboe mit ein (bzw. Flöte je nach Interpretation) überleitend zum zweiten Soloteil, der der Geige gute Gelegenheit gibt, sich auszusingen.
Satz 3 Allegro
Mit emphatischer Verve stürzt sich das volle Orchester in einen polnischen Tanz, der am Schluss in leere G-Saiten runterstürzt. Die Geige folgt mit energischem Schwung und vorantreibenden schnellsten Sechszehntelläufen. Von G-Dur geht’s dann nach D-Dur, immer im gleichen vorantreibenden wilden Tempo, bis ein Schatten auf das Ganze fällt, doch dann folgt ritornellkonform wieder der G-Dur-Tanz, dann ein letztes Violinsolo und ein Schluss, der auch die leeren G-Saiten wieder bringt und fast etwas zu schnell kommt. Das wäre eine Gelegenheit, das kurze Konzert gleich nochmals zu hören.
Telemann interessierte sich vor allem für die Melodie und ihren Platz in einer Komposition und missbilligte die übertriebene Virtuosität des italienischen Konzertstils. Er bevorzugte den französischen Stil mit seinem gedämpften und eleganten melodischen Aufbau. So finden wir eine Reihe seiner Konzerte in viersätziger Form (langsam-schnell-langsam-schnell), im Gegensatz zum italienischen dreisätzigen Stil (schnell-langsam-schnell). So auch in diesem Konzert, das Telemann bei einem Besuch in Dresden 1719 für den Geiger Johann Georg Pisendel komponierte, in dem er italienische Verve mit französischer Melodik mischt und so den deutschen galanten Stil (auch «gemischter Geschmack» genannt) voranbringt und das Zeitalter der Empfindsamkeit vorausnimmt.
Satz 1 Largo
Das Konzert beginnt sehr melodiös mit einem langsamen Satz im Tutti des ganzen Orchesters, wobei sich schnell einzelne kurze Motive der Melodie hervortun, die von der Sologeige auch gleich übernommen werden. Ein genüssliches Musizieren entfaltet sich aus den vielen Facetten der Anfangsmelodie, abwechselnd zwischen Geige und Orchestertutti. Bei ihrem nächsten Einsatz beginnt die Solovioline mit einem besonders galant-tänzeri-schen Vorschlagsmotiv, das wiederum übergeht in freie Erinnerungen der Anfangsmelodie in Orchester und Geigensolo. Eine Oktav tiefer erscheint wieder das Vorschlagsmotiv, das jetzt etwas dunkler daherkommt und dann leicht stockend zum Schluss des Satzes führt.
Satz 2 Vivace
Nach diesem eher französisch geprägten melodiösen Eröffnungssatz ergreift ein energisches, zweimal wiederholtes Motiv mit italienischem Temperament die Führung. Sofort wird es in italienischen Geigenfigurationen weitergeführt und prägt das Ritornellthema bis zu dessen Schluss. Mit einer eigenen Phrase steigt die Geige ein und steigt aufwärts, wiederholt diese Phrase und lässt sie weitgespannt ausklingen. Dann kommt gleich wieder das energische Anfangsmotiv, jetzt in der Dominante F-Dur, gefolgt von Varianten der Geigenfigurationen des Anfangsthemas. Mit fantasievollen Läufen und abwechslungsreichen, schnellen Figuren führt die Geige dann zum erneuten Ritornellthema, dieses Mal in G-Dur und überlässt der Sologeige die Überleitung zur B-Dur-Reprise. Orchester und Sologeige steigern sich in einen brillanten Vivace-Schluss.
Satz 3 (sempre piano)
Pianissimo wird ein fein gewobener Klangteppich ausgelegt, in dem Geigen und Bratschen Duolen gegen Triolen spielen. Darauf singt die Geige eine hinreissend schöne Arie und macht diesen Satz unvergesslich. Auch wenn der Satz nur gut 2 Minuten dauert, man könnte der wunderschönen Melodieführung der Sologeige noch sehr lange zuhören…
Satz 4 Allegro
Ein sogleich mitreissendes Allegro-Ritornell mit imitatorischen Melodie-Elementen eröffnet diesen bewegten Satz. Besonders originell das Nachhinken der Bratschen. Der Soloteil lässt die Geige gleich brillieren und führt in grossem Bogen zur C-Dur-Wiederholung des Ritornells. Das zweite Solo der Geige, immer wieder unterbrochen vom Einwurf der mitgestaltenden Tutti-Streicher, steigert die Brillanz der Geigenfiguren, kulminiert in einer virtuosen d-moll Passage und bereitet so die Reprise in B-Dur vor. Das Ritornell tritt nochmals in den fantasievollsten Imitationen seiner Selbstreferenz auf und die Geige fügt gekonnt ihre virtuosen Zwischenrufe mit ein, sodass die Steigerung des Ausdrucks fast notwendigerweise zum Schluss führen muss.
Telemann habe an die 600 Ouvertüren, wie er die Orchestersuiten auch nannte, komponiert. Davon erhalten seien 137. Offensichtlich eine Lieblingsgattung, die er der italienischen Konzertform vorzog und die ihm Gelegenheit gab, eine Vielzahl von musikalischen Stilen, Tänzen und Melodien zu erproben. In einigen Ouvertüren lässt er aber trotzdem Solisten auftreten, so im D-Dur Ouvertürenkonzert, oder wie der Telemannforscher Steven Zohn sie nennt: Concert en ouverture. Der Geigenpart ist immerhin so anspruchsvoll, dass auch Pisendel diese Solopartie selbst gespielt hat. Von Pisendel stammt auch eine Abschrift dieses Ouvertürekonzerts in D-Dur, deren Autograf, wie oft bei Telemann, verloren ist.
Satz 1 Ouverture
Mit einem tiefen G samt Vorschlag im Bass und der Antwort der übrigen Streicher erheischt diese Ouvertüre der Ouvertüre sofort unsere Aufmerksamkeit. Ganz der französischen Suite eines Lully oder Couperin folgend, eröffnet Telemann sein «Concert en ouverture» in langsam voranschreitenden, punktierten Vierteln.
Im Mittelteil starten dann die ersten Geigen polyphon eine Art schnelle Fuge, die zweiten Geigen und der Bass folgen und bilden eine Art Ritornell-Tutti. Erst jetzt tritt die Sologeige auf und zeigt sich brillant in eilenden Sechstzehntelläufen und fantasievollen Figurationen. Fünf leicht veränderte Ritornell-Tutti und vier Soli-Abschnitte wechseln sich ab wie in einem italienischen Solokonzert.
Die Wiederholung des langsamen Eröffnungsteils variiert subtil den Anfang, denn jetzt hinkt der Bass dem Streicherchor hinterher. Langsam und feierlich, aber dennoch nicht schwerfällig schreitet die Ouverture dem Schluss entgegen.
Satz 2 Badinage – Vivement
Die nun folgende Abfolge von Tanzsätzen eröffnet eine Badinage. Badinage heisst Spass, Schäckerei und ist durch einen schnellen Zweierrhythmus charakterisiert. Locker tändelnd und etwas von «oben herab» bringt das Streicher-Ensemble eine scherzohafte Tanzmelodie. Erst im Mittelteil des Satzes setzt die Sologeige ein und spielt sich mit langen Triolenketten in den Vordergrund. Erst als alle genug haben, was Triolen betrifft, wird der tändelnde erste Badinage-Teil wiederholt.
Satz 3 Rondeau
Es folgt ein schneller Rundtanz, mit einem melodiösen Orchesterthema und relativ schlichten Violinsoli, die sich mit den Orchestertutti rondohaft abwechseln.
Satz 4 Menuet I & II
Das Menuet I verwirrt durch seinen speziellen Tanzrhythmus. Der starke Taktteil wird durch den Akzent einer langen Note auf den zwei schwächeren Taktteilen abgeschwächt, als sollten die Tanzenden gestört oder im Gegenteil zu voller Konzentration aufgerufen werden.
Im Menuet II stellt sich die Sologeige mit grossen Sprüngen auf und runter an die Spitze der Tanzenden. Die Bässe treten zurück und hören schweigend zu, was der Solist oder die Solistin alles anzubieten hat.
Satz 5 Sarabande
Im typischen Sarabande-Rhythmus schreitet das Streichorchester voran. Besonders spannend sind die harmonischen Varianten, die der Streicherchor auf seinem feierlichen Tanz abschreitet. Da ist genaues Hinhören ein Gewinn.
Satz 6 Caprice
In Kontrast zum vorigen gemächlich harmonischen Streichersatz bricht jetzt eine wilde Caprice «alla breve» ein. Kapriziös sind nicht nur die besonders auffallenden Orchester-Triller sondern auch die Spielvarianten der Solovioline. Über einen Streicherteppich im letzten Solo erfindet die Sologeige ihr eigenes «kapriziöses» Thema. Dann aber – kaum sind zwei Minuten vergangen – ist Schluss mit diesen Kapriolen.
Satz 7 Gigue
Eine tänzerisch schwungvolle Gigue bildet, wie oft bei Suiten, den Abschluss dieses Ouvertüren-Konzerts. Nachdem das Streichertutti das Gigue-Thema vorgestellt hat, bekommt die Sologeige nochmals Gelegenheit, ihre eigenen Motive und ihre Spielfreude einzubringen. Dann ist genug getanzt, auch wenn Telemanns Ouvertüren damals eher nicht zum Tanz aufspielten, sondern in eigenen Konzertanlässen bei Hof oder in Städten wie Leipzig, Frankfurt oder Hamburg – den Wirkungsorten Telemanns - dargeboten wurden.