Andreas Romberg: Violinkonzert Nr. 12 g-moll (1800)

Andreas Romberg
Andreas Romberg

 

Andreas Romberg

geboren 27. April 1767 in Vechta, Deutschland

gestorben 10. November 1821 in Gotha, Deutschland

 

Entstanden:

1800

 

CD-Aufnahme:

Chouchane Siranossian 2018


Es war ein erster Karriere-Höhepunkt, als 1785 die beiden hochbegabten «Brüder Romberg» aus einer Musikerfamilie von Münster, Westfalen, in den berühmten Concert spirituels in Paris als Solisten auftraten. Eigentlich waren Bernhard und Andreas Romberg Cousins, doch Brüder statt Vettern schien für hochbegabte Jugendliche werbewirksamer gewesen zu sein. Bernhard war Cellist, Andreas Geiger. Sie machten damals Bekanntschaft mit den berühmten Gluck, Haydn und Viotti. 1790 traten sie der Bonner Hofkappelle bei, wo sie als Kollegen einen gewissen Ludwig van Beethoven antrafen. Beide komponierten, zuerst Stücke für den gemeinsamen Eigengebrauch. Die Rombergs entwickelten sich danach zu europaweit berühmten Reisesolisten. Andreas komponierte seine Violinkonzerte für den Eigengebrauch, wie das unter berühmten Geigern zu jener Zeit üblich war, und nahm diese als Reisegepäck mit auf seine Konzertreisen. Wer diese Konzerte heute hört, merkt sofort die Nähe zum Stil der Wiener Klassik, man spricht denn auch bei den Rombergs von der Nord-Deutschen Klassik. Es war nicht direkte Beeinflussung aus Wien, es war die zeitgemässe Art zu komponieren. Doch im Unterschied vieler Musiker der Zeit stachen Andreas Rombergs Kompositionen wegen ihrer Originalität, ihrem Witz und ihrer Überraschungseffekte hervor. Er komponierte Opern, Symphonien, Kammermusik und viel geistliche Musik.

 

Die Violinkonzerte verschwanden leider bald aus dem Konzertleben, nicht zuletzt deshalb, weil sie wohl nur für die persönlichen Auftritte komponiert wurden. Andere Geiger wie Spohr in Deutschland, Kreutzer und Rode in Frankreich waren Konkurrenten. Noch heute liegen Rombergs Violinkonzerte-Manuskripte fast versteckt in den Archiven der Stadt- und Universitätsbibliothek Hamburg. Die Wirren der Revolutionskriege vertrieben Andreas Romberg dann nach Hamburg, wo er heiratete, ansässig wurde und das Hamburger Musikleben über 10 Jahre lang beeinflusste. Hier entstand seine damals berühmte Vertonung von Schillers Lied von der Glocke. 1809 erhielt er für seine «musikalischen Meisterwerke» die Ehrendoktorwürde der Universität Kiel, die ihn berechtigte, sich hinfort «Doctor der freyen Künste, insbesondere der Musik» zu nennen. Wirtschaftliche Not der Kriegszeiten und die Sorge um seine auf elf Kinder angewachsene Familie veranlassten ihn schliesslich, als angestellter Hofkapellmeister an den Hof von Gotha zu wechseln. Dort starb er 1821 im Alter von 54 Jahren, «im wahren Sinne des wortes aus Kummer», wie Bernhard Romberg über ihn sagte.

 

 

Das originelle g-moll Konzert, eines seiner 20 Violinkonzerten, hat er mit 33 Jahren um 1800 mitten auf dem Höhepunkt seiner geigerischen Virtuosenkarriere komponiert.

 

Hier zu hören!

 

Hörbegleiter:

 

 

Satz 1 (Allegro)

Mit einem typischen Sturm-und-Drang-Orchestergestus, wohl beeinflusst von Sinfonien der Wiener Klassik, beginnt dieses Konzert fulminant und stürmt selbstbewusst und wuchtig aufs Publikum los. Ein g-es-b-Motiv antwortet sanft und fast zögernd, zuerst in den Streichern, dann in den Holzbläsern. Erst mit der Zeit nimmt das Orchestervorspiel vermehrt auch melodiösen Schwung mit auf und verwandelt sich in eine mehrmals wiederholte Moll-Melodie.

 

Markant setzt die Sologeige mit dem g-moll-Motiv ein und entwickelt es weiter in etwas trübe melodiöse Ausfächerungen. Nochmals markiert das Motiv deutlich Präsenz, dann lässt die Geige auf ihrer dunklen G-Seite das zweite Thema erklingen, das sofort in hoher Lage ausgesungen wird.

 

Nach einigen vorbereitenden Passagenwerken der Geige trägt die Geige das zweite Thema in gesanglichem Dur vor und spielt sich in brillanten und virtuosen Figurationen von aller Trübsal frei.

 

Ein Orchestertutti beendet diesen ersten Soloteil und führt über zur Durchführung. Mit klangvollen Doppelgriffen stimmt die Geige virtuos in die Durchführung mit ein und spielt mit den beiden Themen dieses Satzes, zuerst mit dem Motiv, dann mit dem gesanglichen Thema und zaubert eine von allen Eintrübungen befreite Brillanz des Geigenspiels hervor.

 

Erst als das Orchester wieder interveniert, trübt sich die Stimmung erneut. Als Reprise erinnert die Sologeige an das g-moll-Motiv. Selbst das gesangliche Thema wird nun bei seiner Wiederkehr eingetaucht in eine geheimnisvolle schmerzliche Moll-Atmosphäre.

 

Ein klanglich an den stürmenden Anfang erinnerndes Orchestertutti schliesst ab und leitet über zu einer ganz speziellen, von Romberg selbst verfassten Solokadenz (die in einem späteren Manuskript überliefert ist und schon vor Beethovens Klavierversion seines Violinkonzertes Pauken in die Kadenz miteinbaut). Die Geige beginnt ihre Kadenz mit fast etwas unheimlich rollenden Figuren, wird dann aber von einem Bläserchor mit nur hier eingesetzten Klarinetten und der Pauke totenmarschähnlich unterbrochen, doch die Geige spielt ihre Figuren weiter, wird erneut unterbrochen und steigt dann in höchste Höhen empor, um all dem Dunklen zu entfliehen. Doch in dunklem Moll setzt das Orchester dann den wuchtigen Schluss.

 

Satz 2 (Adagio Cantabile)

Eine weitausschwingende wunderschöne Gesangsmelodie setzt in der Sologeige zweimal an, bevor sie abhebt und in sphärische Dimensionen entschwebt, um dann wieder zurückzukommen und sich in Schönheit zu wiederholen. Das Orchester folgt vorerst sanft dieser Melodie, und gibt wieder ab, zurück zur Geige.

 

Aber dann will das Orchester die Geige in die dunkle Atmosphäre des ersten Satzes zurückholen. Doch die Geige hört nicht auf zu singen, wiederholt ihre wunderschöne Melodie und verziert ihre melodischen Erfindungen, um uns als Hörende mitzunehmen und zu verzaubern, bis wir hörend selbst innerlich mitsingen. Erst das Orchester holt uns wieder in die Realität zurück.

 

 

 

Satz 3 (Polonese. Allegretto)

Ein tänzerisches Rondothema der Sologeige, mehrmals wiederholt, eröffnet eine Polonaise in Moll. Das Orchester tanzt fast witzig leicht stampfend hintendrein.

 

Ein erstes Couplet in schnellen Sechzehnteln der Geige führt den Rundtanz weiter, bringt aber dunklere Klangschattierungen, Abwandlungen, Verzögerungen und schliesslich nachdenklichere Melodien mit ins Geschehen. Bis schliesslich – wie um die Ecke - das lockere Rondothema wieder auftaucht, zuerst in der Geige, dann voll dreinfahrend und stampfend im Orchester.

 

Ein zweites Couplet, das die Geige vorstellt, erinnert an eine Art gedämpftes Wohlbefinden, eine gerade noch erträgliche Lockerheit des Seins. Das Orchester färbt diese eigenartige Stimmung mit, man hört irgendwoher Bordunklänge.

 

Aber alles hat seine Ordnung und die Geige leitet zurück zu ihrer Polonaise und dreht nochmals eine Runde, das Orchester schliesst sich schliesslich auch an und folgt der Geige, selbst als diese nochmals einen Dreh macht. Dann aber ist Schluss, schlicht und in g-moll, der  Schluss eines originellen, vergessen gegangenen Violinkonzerts der norddeutschen Klassik.

 


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

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tonibernet@gmx.ch