Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges
geboren 25. Dez. 1745 in Baillif, Guadeloupe
gestorben 10. Juni 1799 in Paris
Erstmals publiziert:
1775 in Paris durch Mr Bailleux
Aufnahmen:
Jean-Jacques Kantorow 1974
Rachel Barton 1997
Takako Nishizaki 2000
Um die Musik von Joseph Bologne, Chevalier de Saint Georges, als eigenständige Musik zu würdigen, vermeide ich das dem Chevalier angehängte Label vom «Black Mozart» und spreche lieber von einem bedeutenden Vertreter der französischen Klassik (als Gegenüber zur Wiener Klassik). Joseph Bologne, aufgrund seiner Verdienste in Fechten und Musik zum Chevalier de Saint Georges geadelt, orientierte sich an der Musik und den Komponisten seiner Zeit im Paris der aufkommenden Bürgerschaft. Auch in der Musik herrschte in Paris ein Trend zu Umbruch und Neuanfang, weg vom adligen Hof zu den eigenen Orchesterveranstaltungen der Bürgerschaft. Eine Vorahnung dessen, was am Ende des Jahrhunderts in der französische Revolution auch gesellschaftlich gewaltsam umgesetzt wurde.
Ebenso möchte ich Saint-Georges Kompositionen nicht von seinem besonderen Lebensschicksals her interpretieren, auch wenn sein Leben höchst eindrücklich, bewegend war und viele romanhafte Fantasien angeregt hat (beginnend bei seiner Geburt als Kind einer Sklavin in Guadelupe über seinen Aufstieg in die adligen Kreise als “the most accomplished man in Europe in riding, shooting, fencing, dancing and music” (John Adam) bis zu seiner Rolle in der französischen Revolution und seiner Opposition zu Napoleon wegen dessen Wiedereinführung der Sklaverei!).
Über Saint-Georges musikalische Ausbildung ist nichts bekannt. Aber es lohnt sich auf die Komponisten zu schauen, die ihn später musikalisch geprägt haben. Musikalischen Einfluss auf seinen Stil als Komponisten hatten sicherlich Komponisten, die ihm eigene Werke gewidmet hatten. So komponierte der italienische Geiger Antonio Lolli (1725-1802) zwei Violinkonzerte für ihn, François-Joseph Gossec widmete ihm die sechs Streich-Trios Op. 9, andere Widmungen kamen später auch von Carl Stamitz (1745-1801) und andern weniger bekannten Musikern. Geigerisch beeinflusst hatten ihn wohl Jean Marie Leclair (1697-1764) und Pierre Gaviniès (1728 – 1800).
Es mischten sich bei Saint-Georges musikalischer Prägung also Einflüsse der italienischen Violinkonzerte-Tradition, der symphonischen Welt von Gossec, der Mannheimer Schule und der entstehenden eigenen französischen Violinschule. Das ergibt eine durchaus spannende Mischung, die Saint-Georges zu einem eigenen brillanten Kompositionsstil im 18. Jhd. der Aufklärung zusammenführte und daraus ein reiches Werk von Streichquartetten, Violinkonzerten, Symphonies Concertantes und Opern entstehen liess. Seine musikalische Begabung wurde von seinen Zeitgenossen erkannt. Als Musiker übernahm er als ehemaliger Konzertmeister die Nachfolge François-Joseph Gossecs als Dirigent des Orchesters Concert des Amateurs, das wegen der Aufführung zeitgenössischer symphonischer Kompositionen in ganz Europa schnell berühmt wurde. So dirigierte Saint-Georges die Uraufführungen von Haydns sogenannten Pariser Sinfonien. Dass er auch mit seinen technisch anspruchsvollen Violinkonzerten und seinen konzertanten Sinfonien immer wieder brillierte, ist sicher auch Mozart bei seinem Besuch in Paris aufgefallen. Nach Meinung einiger Musikwissenschaftler soll Mozart sogar diese für Saint-Georges Violinkonzerte typische Eigenheit, der Abfolge von schnellen aufwärtsgehenden Tonleitern auf der E-Saite abrupte tiefe Töne auf der G-Saite folgen zu lassen, in seine eigene Sinfonia Concertante für Violine und Viola (KV 364) übernommen haben.
Dass aber Saint-Georges Werke heute kaum mehr gespielt und vergessen wurden, liegt kaum an deren wirklichen Originalität. Das könnte eher mit dem aufkommenden Geniekult der Romantik zu tun haben. Schon Voltaire traute Mulatten wenig geistige Originalität zu. Die Bewertung einer Oper von Saint Georges durch den eigentlich kultivierten Zeitgenossen Baron Melchior von Grimm ist höchst aufschlussreich:
« Cette pièce est mieux écrite qu'aucune autre de Monsieur de Saint-George. Et néanmoins elle
apparaît également dépourvue d'invention. Ceci rappelle une observation que rien n'a encore
démenti, c'est que si la nature a servi d'une manière particulière les mulâtres en leur donnant une
aptitude merveilleuse à exercer tous les arts d'imitation, elle semble cependant leur avoir refusé cet
élan du sentiment et du génie qui produit seul des idées neuves et des conceptions originales» (vgl. Michelle Garnier-Panafieu, Un contemporain atypique de Mozart : Le Chevalier de Saint-George, YP Éditions 2011).
In der nach Joseph Boulognes Tod aufkommenden Zeit des Geniekults blieb er zwar als virtuoser und brillanter, ausübender Musiker irgendwie in Erinnerung, aber er wurde als Genie unbedeutend und vergessen. Solche rassistischen Vorurteile wie auch der Vergleich mit Mozart verhinderten bis vor kurzem, die Eigenständigkeit von Saint-Georges reichem Werk und deren kompositorische Bedeutung und Entwicklung wahrzunehmen.
Hier geht es mir darum, mit einer persönlichen Hörhilfe ein Violinkonzert von Saint Georges neu zu hören, um von dieser selbstbewussten Musik aus dem Zeitalter der Aufklärung und ihrer ansteckenden Lebensfreude und ihrem Mut, sich selbst zu sein, mitgerissen zu werden. Dass dabei auch eine reiche und komplexe Gefühlswelt uns nahekommt, kann beim Anhören des zweiten Satzes Erlebnis werden.
Hier ist das Konzert in einer brillanten Aufnahme zu hören!
Hörbegleiter:
Die orchestrale Exposition des damals üblich besetzten Orchesters (Streicher, 2 Oboen und 2 Hörner ad libitum) bringt in freier Abfolge ein Thema nach dem andern, eines galanter und schöner als das andere. Zuerst weckt ein sofort synkopisch startendes Thema die volle Aufmerksamkeit. Dessen Nachspiel scheint gleichsam auf uns Hörende zuzukommen, bis es mit einem Tutti-Anlauf zur Wiederholung des synkopischen Themas zurückführt. Dann wieder volles Mannheimer-Crescendo im Tutti, es folgt ein melodiös singendes, fragend sanftes Thema, das schroff mit drei thematisch auffallenden heftigen Schlussakkorden beendet wird. Es setzt ein neues bewegtes Zwischenspiel ein und führt in melancholischere Gefühlsbereiche, die aber schnellstens wieder weggewischt werden.
Dann – nach kurzem Einhalt - überrascht uns ein vor sich hin tändelndes weiteres Thema, bis diese schon gehörten drei auffallenden Akkorde dieser reichen Orchesterexposition ein Ende setzen.
Auftritt des Solisten: Mit einem langgezogenen A tritt endlich die Geige aus einem imaginären Hintergrund nach vorn ins Orchesterspiel und bringt einen für das Orchester neuen thematischen Gedanken. In selbstbewusstem Auf und Ab bekräftigt die Geige dieses eigene Thema und führt es gleichzeitig so weiter, als ob ihr die vom Orchester vorgelegten Themen nicht genügten. Die Geige zeigt Mut zu eigenem Tun und macht Gebrauch vom eigenen technischem Können. Erst dann übernimmt die Geige das zweite fragend-sanfte Thema, steigert sich danach in höchste eigene virtuose Höhen. Nach kurzem Tutti erinnert die Geige sich dann auch an das tändelnd-tänzerische Thema der Orchestereinleitung und überführt auch dieses in virtuose Geigenfigurationen und Läufe, die etwa nach einer immer weiter aufwärtseilenden Tonleiter bis zum höchsten e abrupt zum tiefen h auf der G-Saite abstürzen, um schliesslich vom Tutti des Orchesters aufgefangen zu werden. Das Orchester übernimmt das tändelnde Thema und führt es in wilden Läufen weiter, bis die Geige auf langgezogenem e neu einsetzt. Darunter lässt sich ein schon mal eingeführtes Orchestermotiv hören, aber dann ist für die Geige kein Halten mehr, sie zeigt, was sie kann, und geht mutig allen voran, bis sie nach freier Kadenz auf hohem h kurz einhält . Doch sogleich stürzt die Geige wieder mit forschem rhythmischen Motiv voran. Ab und zu zwischen geigerischem Können tauchen Erinnerungen an die vorgegeben Themen auf. In langen Anläufen aller Arten bereitet uns die Geige für ein offensichtlich sehr wichtiges Tutti vor. Und wirklich: Voller Einsatz des Orchesters: ein von den Bässen gespieltes, an das Hauptthema erinnerndes Motiv und eine uns entgegenschreitende Bewegung führen als versteckte Reprise gleich zum sanften zweiten Thema des Orchesters. Wieder schliesst dieses fein ausgewogene Thema mit auffallend heftigen, dreifachen Schlussakkorden.
Erneut übernimmt die Sologeige die Führung und bringt wieder ihr eigenes erstes selbstbewusstes Solo-Thema. Doch dann, als ob sie sich dem Orchester neu einordnen möchte, mündet sie formal getreu ins sanfte zweite Thema ein und führt es in technische Eskapaden der gesteigerten Art. Pizzikati des Orchesters begleiten zeitweise wohlgesinnt. Zwischendurch erinnert sich die Geige auch wieder an das tändelnde Tänzchen.
Aber nochmals brilliert die Sologeige und nimmt sich für das Ausspielen ihres Könnens ausgiebig Raum und Zeit. Mit den drei bekannten heftigen Schlussakorden übernimmt dann aber das Orchester das Geschehen und führt die Musik zu einem eigenen ausgiebigen orchestralen Moderato-Abschluss.
Nach dem brillanten ersten Satz folgt ein gefühlvolles Largo. Saint-Georges folgt damit der neuen, von den Italienern eingeführten dreisätzigen Konzertform, die nicht einfach höfische Tänze (wie in der französischen Suite) aneinanderreiht, sondern die Gefühlswelt des aufgeklärten Bürger-Subjekts ansprechen will. In der Subdominante von A-Dur beginnt mit Auftakt eine berührende gesangliche D-Dur-Melodie des Streichorchesters in regelmässig schreitendem Dreiertakt. Sie will leicht melancholisch samt zeitweiser Molltrübung direkt das Gefühl der Hörenden anrühren und so den Einsatz der Sologeige bestens vorbereiten. Auch hier übernimmt die Geige nicht einfach das schöne Gesangsthema, sondern beginnt mit zwei langgezogen Tönen in A und einem optimistischen Aufstieg bis zum hohen D und senkt sich dann langsam über dem begleitenden Dreierrhythmus des Orchesters zum Ende der Melodiephrase hinunter. Doch gleich setzt sie wieder ihren traumhaft schönen Gesang fort, wie er nur für ein Geigensolo zu singen bestimmt scheint und in Sphären führt, welche die Geige in der damaligen Zeit in Frankreich zum idealen modernen Soloinstrument machte. Man folgt aufgeklärt und sieht Licht im Dunkeln des Daseins. Ein besinnliches Tutti unterbricht nur kurz das Singen der Geige. Der animierende Dreierrhythmus des Orchesters lädt die Geige sogleich wieder dazu ein, ihr optimistisch aufsteigendes Anfangsmotiv, allerdings jetzt etwas tiefer in e, zu wiederholen und die Melodie nochmals durch die schönsten Regionen des Geigenklangs zu führen. Und endlich übernimmt dann die Geige, neu ansetzend, auch das Anfangsthema des Orchesters und offenbart in schönster Geigenlage, was in dieser Melodie an motivischem Reichtum, Bewegtheit und Schönheit enthalten ist. Langsam führt sie diese Melodie zu einem friedlichen Ende, nicht ohne überzeugend empirisch aufzuzeigen, welche Höhe des Klangbereichs einer Geige erreichbar ist. Dann folgt die erwartete Kadenz und ein feiner Ausklang des Orchesters.
In klassischer Offenheit für Tradition übernimmt die stolze bürgerliche Sologeige nun im dritten Satz grosszügig einen Tanz aus der französischen Suiten-Struktur: Sie führt in etwas steifem 2/4 Takt ein Rondeau an (ohne sich stürmisch in ein Rondo italienischer Violinkonzerte zu stürzen, sondern bei aller Lebensfreude eher höfisch behaglich bleibend). Das Orchester-Tutti übernimmt und gibt dem Rondeau-Thema Fülle. Dann übernimmt wieder die Sologeige virtuos die Führung und variiert Motive aus dem Thema und lädt nach einer Fermate erneut zum Rondeau-Tanze, dem das Orchester erfreut in voller Besetzung folgt. Dann aber bricht die Sologeige mit einer erregten Minore-Episode in a-Moll ins Tanzgeschehen ein, sich trotzig selbst behauptend, ohne aber den allgemeinen Rhythmus stark zu stören. Als ob sich das Orchester darüber freute, unterstützt es in festlichem C-Dur den Rhythmus der Geige, aber nur kurz: Die Geige übernimmt mit geigerisch brillanten Figurationen das Geschehen, ohne das Fest zu stören, bis sie dann wieder ihr selbstbestimmtes Minore-Thema entschieden neu durchsetzt, um im weiteren Verlauf den Minore-Teil in erregtem virtuosen Auf und Ab auslaufen zu lassen und wieder brav in den allgemeinen Rondeau-Tanz hinüberzuleiten. Nach dieser Rondeau-Wiederholung aber nimmt sich die Geige in ihrer letzten Episode alle Freiheiten und stürzt sich zum Abschluss spicatissime in 16tel-Figuren, zaubert virtuose Läufe bis in die höchsten Lagen, wechselt zwischen schnellen Lagenwechseln und Oktavenspiel und lässt ihre volle Resonanz in gewagten Barriolage-Figurationen und wilden Sextolen erklingen. Hier kann der Solist den erstaunt Zuhörenden zeigen, was mit Üben, Technik und Ausbildung alles in Zukunft möglich ist. Den Abschluss dieses Violinkonzerts aber überlässt der Solist gesellschaftlich konform dem alles wieder auf Normalität zurückführenden, gewohnten Rundtanz des Orchesters.