Friedrich Gernsheim:
geboren 17. Juli 1839 in Worms
gestorben 10. Sept. 1916 in Berlin
Erschienen:
1876 bei Simrock in Berlin
CD-Aufnahme:
Linus Roth 2013 bei cpo
Gernsheims Fantasiestück op. 33 ist ein Vorläufer seiner Violinkonzerte und noch ganz in der romantischen Tradition komponiert, man erinnert sich an die Fantasiestücke von Schumann und Brahms, die Gefühl und formale Freiheiten verbinden wollen.
Geboren wurde Gernsheim in eine angesehene jüdische Familie in Worms. Sein Leben reichte bis ins 20. Jahrhundert hinein. Er studierte in Leipzig bei Ignaz Moscheles und Ferdinand David und lernte in Paris Theodor Gouvys, Édouard Lalos und Camille Saint-Saëns kennen. Tätig war er in Saarbrücken, Köln, Rotterdam und Berlin. Er war gut befreundet mit Brahms. Sein Werk enthält eine Fülle von Musik in verschiedenen Gattungen und Ausführungen, man kann ihn zur Spätromantik zählen. Während der Nazi-Zeit wurde seine Musik geächtet und geriet damit weitgehend in Vergessenheit.
Persönlich habe ich zu diesem Fantasiestück op. 33 einen unmittelbaren Zugang. Das gelingt mir bei Gernsheims späteren Violinkonzerten von 1880 und 1912 nicht. Darum sei hier bloss auf diese beiden Violinkonzerte verwiesen, die mir persönlich etwas bemüht und trotz fast schon impressionistisch schönen Stellen in den Mittelsätzen mehrheitlich fast etwas zu dick virtuos und zu gesucht konstruiert vorkommen.
Das Fantasiestück op. 33 kann aber durchaus neben einem Werk wie der Schottischen Fantasie von Max Bruch bestehen. Im Gegenteil, seine Kürze und innere Ausstrahlung spricht für sich. Ich meine auch, dass in der CD-Aufnahme dieser seltenen Violinkompositionen mit Orchester (bei cpo, versteht sich!) der Geiger Linus Roth bei diesem Fantasiestück, im Vergleich zu den Violinkonzerten, am besten in Form ist. Er vermittelt diesen Melodien Emotion und bringt deren Höhepunkte mit engagierter Expressivität zum Strahlen.
Das Fantasiestück op. 33 beginnt mit zwei die Aufmerksamkeit einfordernden Bläserakkorden, die behutsam die kommende romantische Stimmung anklingen lassen. Gleich setzt dann die Geige ein und spielt im Piano eine weitausgreifende Melodie, zuerst eine Terz nach unten, dann aufsteigend bis zum die Tonart bestimmenden D, um dann in grossem Bogen wieder – sozusagen Melodieschritt um Melodieschritt - abzusteigen. Gleich anschliessend fantasiert die Geige diese sehnsuchtsvolle Melodie ausführlich und expressiv weiter, bis sie die ursprüngliche Melodie dann weiterreicht ans volle Orchester. Die Geige führt nach dem Orchestertutti diesen ersten Abschnitt mit einem zarten Motiv und im Dialog mit dem Orchester weiter und beendet ihn mit einer Kadenz, die zum zweiten Thema überleitet. Diese zweite Melodie ist weniger eindeutig, die Geige spielt eine harmonisch schwebende Mezza-Voce-Melodie. Eine Flöte mischt sich sphärisch ein. Die Emotion steigert sich bis zu einem Fortissimo Höhepunkt. Darauf leitet die Geige mit einer weiteren Kadenz zur ursprünglichen Melodie zurück, einfach eine Oktav höher ansetzend. Dann folgt wieder in freier Nachahmung die Melodie im Orchestertutti. Wieder leitet die Geige zart zum zweiten Thema über, das jetzt in F erscheint und das die Geige weiterspinnt und bis zu extrem hohen expressiven Spitzentönen steigert. Erst langsam beruhigt sich das romantische und weitausgreifende und vor sich hin fantasierende Spiel der Geige… Dann erinnert ein Horn nochmals an das zärtliche Motiv vom Anfang. Still verklingt diese romantische Fantasie in Schönheit, eine Schönheit die Hoffnung und Zufriedenheit vermittelt.