Ludwig (Louis) Spohr
geboren 5. April 1784 in Braunschweig
gestorben 22. Oktober 1859 in Kassel
Entstehungszeit:
Konzert für zwei Violinen: Frühjahr 1808 in Gotha
Violinkonzert Nr. 9 d-moll: 1820
CD-Empfehlungen:
Konzert für 2 Violinen Nr.1 A-Dur: Antje Weithaas, Mila Georgieva 1997/98
Ulf und Gundhild Hoelscher 2001
H. Kraggerud, O. Bjora 2008
Violinkonzert Nr. 9 d-moll:
Erika Morini 1963
Christiane Edinger 1993
Ulf Hoelscher 1993
Louis (Ludwig) Spohr erwarb sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts einen höchst substanziellen und hervorragenden Ruf als Violinvirtuose, Dirigent, Autor, Lehrer und produktiver Komponist von annähernd 300 Werken. Er steht musikgeschichtlich im Übergang von der Klassik zur Romantik, ist heute aber meist nur noch mit Kammermusikwerken (z.B. seinem Nonett in F-Dur) in den Konzertprogrammen vertreten.
Beim Studium seiner Partituren versteht man, dass sich Spohr selbst zu einem Schüler Mozarts erklärte. Denn seine Werke sind klassisch in der Form. Trotzdem aber entfernen sie sich musikalisch von Mozarts Klangwelt. Spohr war weit gereist und hatte auch das Glück, zahlreiche Komponistenkollegen zu treffen, von denen er beeinflusst wurde. Dazu gehörten Clementi und Field in St. Petersburg, Meyerbeer und Mendelssohn in Berlin, Beethoven in Wien, Viotti und Cherubini in Paris und Weber in Stuttgart.
Im späteren neunzehnten Jahrhundert erschien Spohrs nachklassischer Stil denjenigen, die mit den berauschenden Klängen von Wagner, Tschaikowsky, Richard Strauss u.a. aufgewachsen waren, als zu altmodisch. Noch blieb zu dieser Zeit Spohrs erfolgreiche Oper Jessonda op. 63 (1823), die von Brahms und R. Strauss gefeiert wurde, populär und wurde oft in Deutschland aufgeführt. In Großbritannien erwies sich Spohrs Oratorium «Die letzten Dinge» (1826) bis zum Ersten Weltkrieg als Favorit provinzieller Gesangsvereine.
Spohr wirkte während seines langjährigen Musikerdaseins an einem interessanten Wendepunkt des Musikverständnisses. Musik beginnt sich aus den vorgegebenen Strukturen an Fürstenhöfen oder Kirchen zu emanzipieren und will neu einen Beitrag zur Bildung des Individuums leisten, das seinen aufgeklärten Selbstwert nicht mehr in der standesgemässen Geburt, sondern im eigenen «Wirken», «Streben», «Heben» und «Veredeln» begründet sehen will (vgl. Spohr Selbstbiographie 1860/I, 31, 34, 1861/II, 404).
Unter Spohrs Werken gibt es 18 Violinkonzerte und 7 Kompositionen für Soloinstrumente und Orchester, von denen er fünf Concertante nannte. Unter den von Spohr selbst veröffentlichten Concertantes gibt es zwei Concertantes für 2 Violinen, eine in der Romantik seltene Besetzung, und zwar die Nr. 1 in A-Dur für zwei Violinen und Orchester op.48 und als ihr Gegenstück die Concertante Nr. 2 in h-Moll op.88.
Spohr komponierte die Concertante Nr. 1 in A-Dur für zwei Violinen und Orchester op. 48, im Alter von 24 Jahren, im Frühjahr 1808, während einer Schaffensphase, in der er mit originellen Formen und komplizierten Techniken experimentierte. Sie kommt als erfrischende Alternative zum üblichen Repertoire daher, gerade auch weil für 2 Solisten geschrieben. Hier eine Anleitung, genauer hinzuhören.
Hier zu hören:
Hörbegleiter:
Die Orchesterexposition schleicht sich langsam aus dem Dunkeln hervor, Bläsersoli stimmen mehrmals in A-Dur ein aufsteigendes rhythmisches Motiv an und führen zum ersten heftigen Ausbruch. Das Motiv entpuppt sich als Hauptthema, meldet sich wieder, diesmal in den Celli, von den Bläsern beantwortet. So führt das volle Orchester hinüber zum Nebenthema, einem wiegenden dolce-Thema mit einem akzentuierten Schlenker am Schluss, das jetzt grundoptimistisch die Führung übernimmt, nur kurz eingetrübt in einer besinnlichen Moll-Variante.
Die Vorgabe des Orchesters ist damit gemacht, jetzt übernehmen die Solisten in Unisono-Oktaven das aufsteigende A-Dur-Hauptthema. Friedlich, gemeinsam und einander mit glitzernden Geigenläufen ablösend beleuchten sie dieses Thema in lichtem Glanz. Und immer wieder scheinen sich die Geigen in Spielereien aller Art und hohen Trillern zu verlieren. So führen sie klassisch formal korrekt zum schlenkernden Nebenthema, das sie ebenso zweisam aussingen und umspielen wie das erste Motivthema. Mit Schwung führen die Geigen zu einem nächsten Orchesterzwischenspiel, das unmerklich in die Durchführung führt und ein fast etwas wehmütiges drittes Thema auftauchen lässt, die Geigen folgen besinnlich und in Moll.
Dann folgt wieder das aufsteigende Motiv schwankend zwischen Dur und Moll und mit virtuos wilden Läufen. Unmerklich führt es aus der Durchführung hinaus, bis die Geigen wieder in entschiedenem A-Dur das Motivthema übernehmen. Auch das Nebenthema kommt wieder ausführlich daher, jetzt aber neu in dunkler Färbung. Dann eilen die Geigen zusammen mit dem Orchester in schwungvollem Vorwärtsdrängen hin zu einem Abschluss dieses lebensbejahenden Satzes. Im ganzen Satz gelingt es Spohr, neben den virtuosen Geigen auch den Bläserstimmen immer wieder genügend Persönlichkeit zu verleihen.
Eine traumhafte, von ergreifenden Halbtönen erfüllte Melodie, immer auf der dunklen G-Saite der Violinen gespielt, öffnet einen mystischen Raum, und er-öffnet damit das zentrale Larghetto, für mich einen der romantischsten langsamen Sätze von Spohr, der auch vom Musikschriftsteller Hartmut Becker als "ein musikalisches Kleinod der besonderen Art" bezeichnet wurde. Nach einem kurzen Zögern der Musik schliesst sich ein Mittelteil an, geprägt von einem laufenden Orchester-Pizzicato, worüber die Geigen ihre ganze Terzen- und Sexten-Süsse erklingen lassen. Dann erinnert im dritten Teil die traumhafte Melodie im Streichorchesterklang wieder an den Anfang, die Geigen spielen aufgeregte Sechszehntel, aber der schlichte C-Dur-Schluss versöhnt.
Ganz nach dem Vorbild der Klassiker Haydn und Mozart folgt jetzt der Rondo-Tanz eines Violinkonzertes. Das Thema ist neckisch und scherzhaft beschwingt. Dieses heitere Finale versteht sich von selbst, ist reich an galanten Tönen (und animierenden Hörnern). Immer mal wieder folgt ein orchestraler Spezialeffekt, der zu Spohrs Zeiten besonderes Erstaunen auslöste. Ein herberes Zwischenspiel fährt dazwischen, aber die Geigen feiern ihr Können. Immer wieder kommt, wie das ein Rondo erwarten lässt, das neckische tändelnde Rondothema und entlässt uns in bester Laune.
Das bekannteste Violinkonzert von Louis Spohr ist unbestritten das Konzert Nr. 8 (in a-moll «In Form einer Gesangsszene»). Das kompositorisch vollendetste Violinkonzert Spohrs sei das Konzert Nr. 7 in e-moll, so wenigstens laut Kennern aller Werke Spohrs. Doch das unbekannteste und geigerisch beste Spohr-Konzert ist das Konzert Nr. 9 in d-moll. Immerhin hat Spohr den Geigenpart dieses Konzerts in seine eigene «Violinschule» mitaufgenommen und dazu eigens eine zweite Stimme zur Begleitung geschrieben. Spohr schrieb dieses Konzert d-moll 1820 für seine eigene europaweite Reisetätigkeit als Sologeiger. Ab 1822 und seiner Berufung nach Kassel konzentrierte er sich dann mehr auf seine Dirigententätigkeit und das dortige Musikleben.
Hier zu hören:
Hörbegleiter:
Eine längere Orchesterexposition stellt mehrmals ein rhythmisch prägnantes voran- und aufwärtsstrebendes d-moll-Thema vor und beantwortet es sogleich mit leisem punktiertem Ausklingen. Dieses Motiv prägt die Orchestereinleitung, bis dann mit einem schnellen chromatische Anlauf die Geige ihre Soloepisode beginnt und ihr lyrisches Streben mit einem Thema eröffnet, das dem Nachhall des orchestralen Hauptthemas ähnelt. Dadurch etabliert das Geigensolo einen weiterführenden Gegensatz zum pathetisch ernsthaften Orchesterbeginn. Nach eleganten Figurationen führt die Sologeige das eigentliche zweite lyrische Seitenthema ein, dessen prägnantes Motiv sogleich – wirksam eine Oktave tiefer – wiederholt wird.
Mit voller Kraft markiert das Orchester dann den Beginn der Durchführung, die das prägnante Hauptmotiv und die lyrischen Seitenthemen der Geige miteinander konfrontiert und verschränkt.
Als Reprise erscheint erneut das Hauptmotiv, jetzt allerdings in D-Dur. Man kann Spohrs musikalische Idee der Hebung und Veredelung des Geistes darauf auch im gesteigerten Wiederkehren der lyrischen Seitenthemen hörend nachvollziehen. Auf eine rein äusserliche, selbstdarstellende Kadenz der Sologeige verzichtet Spohr bewusst. Die Musik führt direkt zu einem wirkungsvollen und selbstbestimmten Konzertschluss.
Das Adagio beginnt ebenfalls entschieden tätig, wie im ersten Satz, bevor es in eine von einem Pizzicato-Bass begleiteten sehnsüchtig-romantische Melodie überleitet und sich ausweitet in ein Geist und Gemüt erhebendes edles Singen.
Eine kurze erregte Zwischenphase ist nur eine kurze Störung und Zerstreuung, bevor sich die Musik lyrisch wieder auf ihre Aufgabe der gemeinsamen Veredelung von Geiger:in und Zuhörende konzentrieren kann. Wunderschön erhebt sich die Melodie, bis sie Leise ausklingt.
Will man als Zuhörende der Idee dieser Musik folgen, kann man sich bei diesem Adagio an einen Satz aus Spohrs Autobiographie erinnern, wo er sagt, er könne sich keine Seligkeit im bloßen Anschauen und Anbeten Gottes denken, es müsse vielmehr der Geist auch jenseits fort streben und wirken können, – auch müsse es jedenfalls dort Musik geben, obwohl sie anders als die unsrige sein werde (vgl. Selbstbiographie II, 1861, 404).
Ein Horn ruft aus der Stille und weckt die Geige auf zu einem bezaubernden, in Doppelgriffen schmelzenden rhythmischen Tänzchen. Das Orchester begleitet pizzicato und diskret, was die Geige ermuntert, ihr Ständchen erfreut weiterzutanzen.
Dann leitet das Orchester ebenso diskret über zum ersten Couplet dieses Rondosatzes. In diesem Couplet tritt die Geige mit einer Serie von grossen gewagten und virtuosen Sprüngen wieder ins Zentrum und führt zu einer Variation ihres Tanzthemas sowie zu virtuosen Zusatzfiguren. Erst ein energischer Zwischenruf des Orchesters führt die Geige zu ihrem bezaubernden Thema zurück.
Nach einer weiteren Orchester-überleitung schliesst sich ein zweites Couplet an. Wieder grosse weite Sprünge der Geige, wieder freie Variationen des Tanzthemas und weitere virtuose Figurationen, bevor sich das charmante Tänzchen wieder meldet und nichts anderes als Musik sein will.
Eine Orchestercoda bereitet dann der Sologeige einen originellen Schlussauftritt, natürlich nochmals mit virtuosen Doppelgriff-Zaubereien.