Ina Boyle: Concerto for violin and Orchestra

Selina (Ina) Boyle

geboren 8. März 1889 in Bushey Park in der Nähe von Enniskerry, Grafschaft Wicklow, Irland

gestorben 10. März 1967 in Greystones, Grafschaft Wicklow, Irland

 

Entstehung des Violinkonzerts:

1932-33, rev. 1935

 

Aufnahmen:

Catherine Leonard, 2010 (auf youtube zu hören)

Benjamin Baker, 2017 (auf CD)

 


Ina Boyle’s Violinkonzert (1935) steht in der romantisch-spätromantischen Tradition des 1. Violinkonzerts von Max Bruch (1965-67) und der Romance for Violin and Orchestra “The Lark Ascending” von Ralph Vaughan Williams von 1914-21. Rhapsodische Violinsoli wechseln ab mit an Chorgesänge erinnernde romantische Natur-Melodien.  Ralph Vaughen Williams war denn auch der langjährige Kompositionslehrer von Ina Boyle, zu dem sie von Irland aus immer wieder zu Musikstudien nach London reiste. Sie komponierte in den verschiedensten Gattungen (Orchestermusik, Chorwerke, Kammermusik, Oper, Ballette und Lieder), dennoch wurden ihre Werke kaum aufgeführt. Es lag nicht an der Qualität der Musik – wie man heute feststellt -, sondern daran, dass sie isoliert im heimatlichen County Wicklow (Irland) abseits der bestimmenden Londoner Musikszene wohnte, um zu Familie und ihrer Mutter zu schauen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie vergessen, erst seit einiger Zeit wird ihr Werk neu veröffentlicht und da und dort aufgeführt. Vielleicht muss sich die Weitsicht von Ralph Vaughem Williams noch erweisen. 1936 schrieb Wlliams an Boyle: "Ich denke, es ist sehr mutig von Ihnen, mit so wenig Anerkennung weiterzumachen. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass sie manchmal schliesslich doch noch kommt."

Das Violinkonzert widmete Ina Boyle der Erinnerung an ihre verstorbene Mutter. Schon 1928 hatte sie für Ihre Mutter ein Weihnachtslied mit dem Titel «All Souls Flower» komponiert, wo von einer Blume die Rede ist, die von keiner sterblichen Hand gepflanzt ist und zum Wohle unserer Seele wächst. Im dritten Teil ihres relativ kurzen einsätzigen, formal aber dreiteiligen Violinkonzertes zitiert sie diese Melodie als Erinnerung an ihre Mutter.

 

Das BBC-Orchester und der Geiger André Mangeot übten das Konzert 1935 ein, aber es wurde zur Enttäuschung von Ina Boyle nicht ins Radioprogramm aufgenommen. 

 

Hier zu hören!

 

Hörbegleiter:

I. Lento, ma non troppo

In feierlichem A-Dur beginnen Streicher und Bläserchor, unterstützt von leisen Pauken und Posaunen, eine Choralmelodie. In ihren Nachklang hinein beginnt die Geige rhapsodisch ein Rezitativ, zuerst von hohem Triller hinabsteigend, um dann in ungewohnten Tonschritten wieder höchste Höhe zu erreichen. Der Bläserchoral wird wiederholt, und bewegt antwortet die Geige erneut mit grosser Geste und in freier Tonfolge, als wollte sie uns von sich erzählen. Das Orchester stimmt wieder ein, und gemeinsam streben Orchester und die immer leidenschaftlichere Geige zu einem ersten Höhepunkt hin. Das Orchester schreitet feierlich weiter, bis dann auch die Geige in höchstem Register leise das Vierton-Anfangsmotiv der Choralmelodie übernimmt, aber ihre erzählerische Haltung weiterführt. Getragen vom Orchester behauptet die Geige ihre Individualität, bis das Orchester in einem heftigen Ausbruch das Viertonmotiv energisch durchsetzt. Schliesslich passt die Geige ihre rhapsodischen Einwürfe dem schlichten harmonischen Schreiten des Orchesters an. Das Vierton-Motiv wandert in variierter Form voranschreitend durch Orchester- und Solostimmen und erreicht eine Art beruhigte Reprise der vollständigen feierlichen Choralmelodie des Anfangs. Die Sologeige antwortet erneut zweimal in rhapsodischem Rezitativ, aber jetzt Zustimmung signalisierend. Es kommt zu einem verklärten Aussingen, die Geige wandelt mit und entschwebt in höchste Register, das Voranschreiten des Orchesters und die Geige in Doppelgriffen vermischen sich. Langsam verklingt die Musik in A-Dur.

II. Adagio

Es schliesst sich direkt ein auf dem tiefen A beginnendes Adagio-Solo der Geige an, leise vor sich hin sinnierend, vorerst nur von den Streichern diskret begleitet. Ein heller Bläserchor mischt sich dann zweimal mit einem hellen absteigenden Motiv ein. Zur weitausholenden Geigenmeditation gesellt sich bald kontrapunktisch ein Flötensolo. Die Geige steigt mit ihrer romantisch unendlichen Melodie immer höher, der Bläserchor variiert seine Harmonien, alles fliesst meditativ dahin, ein Horn erhebt gegen Schluss seine Stimme, die Geige wiederholt mehrmals ihren Aufstieg über mehrere Lagen, und steigert leidenschaftlich ihren Gesang, am Schluss führt eine Trillerkette energisch und aufwärtsstrebend direkt zum Schlusstanz.

III. Allegro, ma non troppo

Ein tänzerisches Thema wird sogleich von der Geige vorgegeben. Rhythmisch begleitet das Orchester, verstärkt den Schwung dieser Musik und übernimmt dann im vollen Orchester die Tanzmelodie.  Nach kurzem Erlahmen des Orchesters bringen Flöte und Klarinette unisono, nur von virtuos eilenden Figurationen der Geige begleitet, das sanft wiegende Weihnachts-Carol-Thema «All Souls’ Flower» zum Erklingen. Hornklang kommt dazu. Die tröstende Melodie breitet sich aus, die Streicher übernehmen den einer blühenden Blume geweihten Gesang und alles klingt mit Hornklang aus. Dann unterbricht das Orchester diese tröstende Erinnerung an Boyle’s verstorbene Mutter mit dem tänzerischen Thema des Anfangs und führt den Satz zu einem Ruhepunkt, welcher der Geige die Gelegenheit eröffnet, erneut in besinnliche Erinnerung zu wechseln und den Weihnachts-Carol weiter zu singen. Zusammen mit einer einsamen Klarinette beginnt sie tranquillo einen weit sich ausbreitenden Zwiegesang. Eine Oboe und eine Flöte stimmen ein, schliesslich singt auch ein Horn mit, bevor sich erneut wieder das tänzerische Thema, leicht abgewandelt, einmischt. Ein Horn setzt sich heftig jeglicher möglichen Ausgelassenheit entgegen, als ob es die Geige zu erneuter Besinnlichkeit ermahnen wollte. Der neue Einsatz der Geige ist in der Partitur mit «Flower of grace» überschrieben, er führt sofort zu einer kurzen Kadenz der Geige. Langsam steigt die Geige solo gleichsam in himmlische Höhen hinauf und sinkt in weitem Bogen «gnadenhaft» wieder hinab und klingt leise aus, bevor das Orchester versöhnt nochmals mit den rhythmischen Takten des tänzerischen Themas einsetzt. Es folgt in besinnlicher Ruhe ein fast feierlicher, aber kurzer, nach oben offener Ausklang in A-Dur.  


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