Richard Flury
geboren 26.März 1896 in Biberist (Schweiz)
gestorben 23. Dez.1967 in Biberist Schweiz)
Entstehungszeit: 1940
CD-Aufnahmen:
Es existieren Aufnahmen mit Urs Joseph Flury (1969) und Ulf Hoelscher (2010/11 bei GALLO)
Was Richard Flurys Sohn Urs Joseph Flury über das zweite Violinkonzert seines Vaters schreibt, beschreibt Umstände und Entstehung dieses urromantischen Violinkonzerts voller heller Gefühle:
«Das im Jahre 1940 entstandene 2. Violinkonzert hat Vater nur im Klavierauszug hinterlassen. Er schrieb es als Geburtstagsgabe für meine Mutter, die den zweiten und dritten Satz des Werkes noch im selben Jahr mit dem Komponisten am Klavier öffentlich aufführte. Der berühmte deutsche Geiger Georg Kulenkampff hat das anspruchsvolle Werk im privaten Kreis so hervorragend vom Blatt gespielt, dass sich Vater angeregt fühlte, für ihn gleich ein neues, technisch noch schwierigeres 3. Violinkonzert zu schreiben (welches Kulenkampff dann kurz vor seinem Tod zweimal zur Aufführung brachte.) Durch diesen Umstand blieb das 2. Konzert im Klavierauszug liegen und ich habe es nach Vaters Tod instrumentiert und 1969 mit dem Stadtorchester Solothurn uraufgeführt. Bei der Instrumentation bestand die Aufgabe darin, das Orchester in reiner Begleitfunktion einzusetzen, denn in diesem Konzert ist dem Solisten kaum eine Atempause vergönnt, und dem Orchester wird nur in den beiden Ecksätzen Raum für einige wenige Tutti-Takte gelassen Die sich hauptsächlich in den tieferen Lagen bewegenden Begleitfigurationen waren den entsprechenden Registern der Streicher zu übergeben, während höher liegende kontrapunktierende Gegenstimmen, die mit dem Soloinstrument einen Dialog führen, verschiedenen Bläserinstrumenten zukommen mussten, die in ihrer Klangfarbe einen Kontrast zur Violine bilden. Das in der klassischen, dreisätzigen Form gehaltene Konzert trägt in den ersten beiden Sätzen ausgesprochen lyrischen Charakter, diese besonders im tief empfundenen, hochromantischen zweiten Satz. Ausgelassen und kapriziös gibt sich im 6/8-Takt der rondoartige Finalsatz, der an den Solisten hohe technische Anforderungen stellt und durch mehrfache Taktwechsel ebenfalls zu lyrischen Abschnitten führt.»
(aus dem Booklet zu einer Aufnahme des Konzerts mit Urs Joseph Flury)
Hier zu hören:
Über einem dunklen Streicherraunen beginnt die Geige mit einem zarten hohen Fis und stellt gleichsam in liebevoller Zuneigung eine Art Liebesmotiv vor, das sich gleich in eine wiegende schwärmerische Melodie weiterentwickelt. Immer wieder umspielt diese lang aussingende Melodie ihr lyrisches Grundmotiv, bis die Erregung in ruhigere Bewegungen übergeht. Es folgt ein von Doppelgriffen geprägtes rhythmisches tänzerisches Thema, ohne dass die lyrische Stimmung unterbrochen würde. Die ganze Exposition ist ein grosser Gefühlsaufschwung, schwärmerisch und schwungvoll und mündet in eine Art improvisierte Durchführung ihrer Melodien. Die Geige führt, das Orchester begleitet nur. Durchgehend ist das Geigenspiel von ausdauernder höchster Intensität. Erst vor der Reprise übernimmt das Orchester kurz in vollem Tutti die leidenschaftliche Emotion, dann kommt aus Höhen wieder das Liebesmotiv, wieder dieses sehnsuchtsvolle Aussingen in allen Lagen, die Motive der Exposition wieder aufgreifend und in strahlenden Gesten neu mit viel Gefühl füllend. Als Hörende kann man sich diesem Strom von Gefühlen einfach hingeben, eigene Gefühle können mitschwingen, freudig und gefühlvoll feiert Flury hier den Geburtstag seiner Frau (siehe Urs Joseph Flury in der Einleitung!).
Die schwärmerische Stimmung bleibt, ein Horn singt mit, aber die Geige schwingt sich sofort zu neuer zärtlicher Begeisterung hoch. Andere Bläserstimmen kommen hinzu, die Geige aber führt ihren Gesang weiter, als hätte sie zur unendlichen Melodie der romantischen Sehnsucht gefunden: ein lyrisches Geigenspiel schöpft ihre gesanglichen Möglichkeiten aus, immer getragen von reichen Harmonien des Orchesters. Der Dialog mit dem Horn taucht wieder auf, nochmals die schwärmerische Melodie auf tiefer Saite, nochmals ein Aufschwung, nochmals ein Singen von Melodie zu Melodie, und dann ein glückliches Verklingen.
Was kann noch folgen, nach dem zeitvergessenen Verweilen in dieser lyrischen Welt: ohne die Grundstimmung dieses geigerischen Singens zu unterbrechen folgt jetzt in der Geige gleich ein tänzerisches 6/8 Thema, das vorausdrängt und diese helle Glücksstimmung rhythmisch belebt. Die Sologeige kann ihre virtuosen Möglichkeiten ausnützen.
Ein Zwischenspiel in Doppelgriff-klängen der Geige zeigt, was die Geige noch an virtuosen Möglichkeiten kennt. Die Stimmung aber bleibt ansteckend überschwänglich und fröhlich bis zum jubelnden Schluss.
Nachwort:
Es lohnt sich auch die ursprüngliche Klavierfassung des Violinkonzerts anzuhören und auf sich wirken zu lassen. Noch deutlicher wird dabei die führende Rolle der Geige, deren begeistert melodiöses Spiel voll im Zentrum steht, aber man hört noch klarer die fantasievolle spätromantische Harmonik in der Begleitung des Klaviers. Es lohnt sich den melodischen Improvisationen dieses Geigenkonzerts mehrmals zu folgen, Gelegenheit dazu gibt eine Aufnahme dieser Fassung mit Urs Joseph Flury als Geiger und Eugen Huber am Klavier, auch wenn die Instrumentierung des Konzerts des Vaters durch seinen Sohn höchst stimmig genannt werden kann. Richard Flurys bewusst spätromantische Kompositionen (es gibt noch drei weitere Violinkonzerte, Symphonien, Opern und viel Kammermusik von ihm!) würden es verdienen, über Solothurn und die Schweiz hinaus bekannter zu werden.