Reynaldo Hahn
geboren 9. August 1874 in Caracas (Venezuela)
gestorben 28. Jan. 1947 in Paris
Uraufführung: 26. Feb. 1928 durch Gabriel Bouillon
CD-Empfehlung:
Denis Clavier 1997
Man könnte Reynaldo Hahns Violinkonzert ein Konzert der leichten Muse nennen. Ist das der Grund dafür, dass es weitgehend unbekannt und heute kaum aufgeführt wird. Reynaldo Hahn war nach dem zweiten Weltkrieg Direktor der Pariser Oper, bekannt wurde er aber schon vor dem Krieg mit französischen Operetten. Eine hiess Ciboulette, 1923 entstanden, eine andere Mozart (1925). Reynaldo Hahn ein Operetten-Komponist? Reynaldo Hahn war mehr, als Person interessiert an Literatur, er war lebenslang ein Freund von Marcel Proust, zeitweise gar sein Geliebter. Er komponierte Lieder auf viele Gedichte der Zeit. Eine Komponisten-Persönlichkeit also, die nicht zu unterschätzen ist. Dennoch bleibe ich bei der Charakterisierung seines Violinkonzerts: es ist ein Konzert der leichten Muse. Und das ist nicht abschätzig gemeint.
Ein Rezensent der CD-Live-Aufnahme dieses Konzertes und zweier anderer Werke von Hahn schrieb sehr aufschlussreich: «Wie angenehm ist es doch, drei sonnige melodische Werke zu hören, so voller Wärme und Nostalgie mit einem Minimum an Angstbeladenheit. Es ist wirklich erstaunlich, wie diese Werke den Aufnahmestudios so lange entgangen sind…Erst in den letzten Jahren hat sich das musikalische Establishment von der Atonalität abgewandt und eine (heimliche?) Vorliebe eingestanden für solche unverschämt romantische, ja sentimentale Werke wie diese Edelsteine.» (auf der Homepage von musicweb-international.com).
Und dazu die folgende Hör-Hilfe:
Den Auftakt macht ein Lauf aufsteigender Septolen über mehrere Oktaven, es heisst: Vorhang auf! Und schon kommt eine ungewohnte rhythmische Melodie im Orchester daher, die etwas später von der Geige nachhinkend übernommen wird und in wiegende Bewegung überführt wird. Leichtigkeit ist angesagt. Nochmals insistiert das Orchester auf seinem Rhythmus. Dann aber verfällt die Geige einem schmeichelnd süssen zweiten Thema, das sich wiegend ausbreitet, bis sich der stockend-hinkende Rhythmus wieder einmischt. Doch das jugendstil-dekorativ-süsse Thema singt weiter, der Rhythmus tritt in den Hintergrund. Es ist Raum da für ein neues Gesangsthema der Geige ("un peu moins vite"), das eigentliche Nebenthema, das sich bald in einen Austausch mit dem Orchester begibt, die wiegenden Motive erscheinen wieder, bis ein strenger Rhythmus zurück zum hinkenden Orchesterthema führt. Dann aber ist es an der Geige, mit verschiedenen Figurationen die Führung an sich zu reissen, wir sind ja mitten in der freien Durchführung eines Violinkonzertes angelangt. Aber die Sehnsucht nach dem schönen schmelzenden Wiegen bleibt, ist immer wieder zu hören. Dann aber die Reprise: Das auffallend rhythmische Orchesterthema funkelt erneut dazwischen, wird ergänzt durch das wiegend-süsse Thema und das gesangliche Nebenthema. Dann aber geht es immer bewegter auf den Schluss zu, vergnügt in der Leichtigkeit gelebten Glückes. Eben: ein funkelnder Edelstein von einem Satz.
Der Titel des Satzes sagt schon alles. Nach dem Funkeln des Edelsteins folgt im Orchester jetzt eine ruhige Liebesmelodie, ein Horn wiederholt es in Einsamkeit, eine einzigartige Idee, die von der verliebten Geige übernommen wird, wunderschön instrumentierte Ruhe, chromatische Süsse und in der weiteren Partitur nacheinander die Worte «Tranquille», «Très Calme», «Amoroso», «Sans rigueur», «en animant», «Très calme», ein tief empfundener Gesang, der wohl biografisch mit nicht nur musikalischen Erinnerungen an Tunis verbunden ist. Souvenir de Tunis ist der vom Komponisten angefügte Untertitel des Satzes. Die Frage des informierten Hörers, darf man im 20. Jahrhundert noch so komponieren, verschwindet, so schön.
Der Vorhang erhebt sich zum dritten Mal, ganz ruhig, lentement wird ein lyrisches Motiv in der Geige mehrmals wiederholt, gleichsam meditiert. Eine Flöte antwortet fast aus dem Nichts. Die Geige singt sinnierend weiter…
... und entschliesst sich für das Leben und die Freude. Vif geht es los, in heiterem D-Dur, eine Art Rondo, und nichts will den vorantreibenden Drive bremsen, auch keine Zwischenmotive und Melodien des Orchesters, es geht weiter ungebremst voran. Festlich eilt Orchester und Geige einem heiteren leichten und geistvollen Ende entgegen. Ein Violinkonzert, von der leichten Muse fröhlich geküsst.