Mieczysław Karłowicz: Violinkonzert A-Dur op. 8 (1902)

 

 

 

Mieczysław Karłowicz

geboren 11. Dez. 1876 in Wiszniewo

umgekommen 8. Feb. 1909 in den Bergen der Hohen Tatra

 

Uraufführung:

21.März.1903 durch Stanislaw Barcewicz und mit dem  Berliner Philharmonisches Orchester, Leitung: M. Karłowicz

 

Einspielungen:

Tasmin Little 2003

Nigel Kennedy 2006

Julia Fischer, J. 2023 (auf Youtube)

 


Mit 32 Jahren wurde der begeisterte Berggänger und Skifahrer Mieczysław Karłowicz in der Hohen Tatra von einer Lawine verschüttet und starb. Sein kompositorisches Werk ist daher klein, einige Frühwerke, dann das Violinkonzert und schliesslich acht symphonische Dichtungen, die er zurück in Polens Stadt Zakopane inspiriert von der Bergwelt der Hohen Tatra komponierte. Er schloss sich zusammen mit den Musikern Grzegorz Fitelberg, Ludomir Różycki und Karol Szymanowski der Gruppe der «Jungen Polen» an, galt aber als Einzelgänger, der sich gerne in die Berge zurückzog.  Die acht symphonischen Dichtungen sind von der Welt des Symbolismus und der Neoromantik beeinflusst und zeugen von einem ganz eigenen Klang-Stil, der orchestral von der menschlichen Existenz und der Unendlichkeit zu erzählen weiss. Zwar werden diese Werke in Polen noch heute gespielt, sie sind aber ausserhalb Polens so gut wie unbekannt.

 

Mit 26 Jahren komponierte Mieczysław Karłowicz sein Violinkonzert in Warschau. Es wurde aber für Berlin geschrieben, wo es von Karłowicz Geigenprofessor und Geigenvirtuose Stanisław Barcewicz  und den Berliner Philharmonikern uraufgeführt und dann in Wien wiederholt wurde. Aus den erhaltenen Musikkritiken dieser Uraufführungen:

«"Das 'Violinkonzert' ist auch ein sehr schönes Werk, besonders im zweiten Satz, wo es sich dem Stil einer Bachschen Violinkantilene nähert. Und die Orchesterbegleitung ist so subtil und frisch, im Gegensatz zu den banalen Begleitungen von Sarasate, Vieuxtemps usw.».
«Karłowicz liebt eine lebendige und reiche Instrumentation, die uns manchmal zu dicht erscheinen mag, aber alles, was er schreibt, klingt schön. Seine Themen mögen nicht ganz originell sein, aber sie besitzen einen besonderen Einfallsreichtum».

 

Karłowicz hatte die besten Voraussetzungen, sich in der damaligen europäischen Welt der Musik zu positionieren. Als Sohn eines bedeutenden Gelehrten reiste er mit seiner Familie schon als Kind durch Europa und hatte abwechselnd Wohnsitz in Heidelberg, Dresden, Prag und Warschau. Er wurde vielfältig gefördert, lernte professionell das Geigenspiel, entschied sich dann aber zum Komponieren. Die Vorbilder seiner frühen Werke waren Tschaikowski, Wagner und Richard Strauss. Noch im Violinkonzert zitiert Karłowicz den Anfang von Tschaikowskis b-moll-Klavierkonzerts, allerdings in der Umkehrung der Tonfolge. Als ausgebildeter Geiger kannte er die Violin-Literatur seiner Zeit. Aufschlussreich für das Verständnis seines Violinkonzertes ist folgende Selbstpositionierung zur Violinmusik seiner Zeit:

 

«Die Violinmusik kann in zwei Kategorien eingeteilt werden: einige Werke laden zu einer Vorführung der Technik des Musikers ein, strotzen vor Schwierigkeiten, sind aber arm an Inhalt; andere stellen den Inhalt in den Vordergrund, ohne Rücksicht auf die Natur und die besonderen Eigenschaften des Instruments. Die ersteren werden von Geigenvirtuosen geschrieben, die nicht immer mit schöpferischen Talenten ausgestattet sind und über unzureichende Kenntnisse der Musik verfügen; die anderen sind das Werk talentierter Komponisten, die für die Violine schreiben wollen, aber die Natur des Instruments nicht ausreichend kennen. Nur wenige Werke fallen in die Mitte.»

 

Zu diesen Violinkonzerten in der Mitte gehört das Violinkonzert von Mieczysław Karłowicz. Es ist kompositorisch motivisch durchgestaltet. Und wirklich sind die zahlreichen Mehrklänge und Figurationen des Violinparts mit seinen sehr hohen Tempi und Trillern anspruchsvoll. Es bedarf eines technisch sehr versierten Geigers, um diese Schwierigkeiten zu bewältigen.

 

Hier zu hören!

 

Hörbegleiter:

Allegro moderato

Zwei Hörner und ein Fagott setzen mit einem festlichen Signal den Anfang und wecken die Aufmerksamkeit. Dieses Anfangsmotiv wird im Verlauf des Satzes wieder vorkommen. Es entpuppt sich bei genauerem Hinhören als die selbe Tonfolge wie die berühmte Eröffnung des b-moll-Klavierkonzertes von Tschaikowski, eine Ommage also von Karłowicz an Tschaikowski.

 

Dann aber startet gleich die Geige solo und spielt mit virtuosen Doppelgriffen das rhythmisch interessante und energetisch aufgeladene Hauptthema, dem sich in sanfter Abänderung das Signalmotiv im Orchester anschliesst. Die Geige übernimmt die Führung und leitet virtuos zur feierlichen Wiederholung des rhythmischen Hauptthemas über. Langsam verklingt das Thema in abfallender Bewegung der Streicher und in abschliessenden leisen Holzbläser-Akkorden. Neu setzt die Geige mit einer luftig-geigerischen Überleitung ein, motivisch von den hohen Holzbläsern begleitet.

 

Dieses Aufblitzen heiterer Atmosphäre bereitet das gesangliche zweite Thema vor, das sich ebenfalls vom anfänglichen Signalmotiv beeinflusst offenbart. Die Sologeige singt ihre romantisch weit ausgespannte Melodie, vom Fagott kontrapunktiert und von Hörnerklang untermalt.

 

Abrupt kommen eine gewisse Unruhe und kurze Verunsicherung ins musikalische Geschehen, es beginnt die Durchführung. Zuerst flüchtet sich die Geige in wilde Figurationen, die vom rhythmischen Hauptthena ausgehen. Das Orchester stoppt mit einer Art Fanfare die Geige, verdunkelt die Stimmung und gibt der Geige Gelegenheit, rezitativisch auf der dunklen G-Seite in sich zu gehen. Langsam gewinnt die Sologeige wieder Luft aus der Höhe und Bewegung in der Zeit, vom Orchester immer wieder kooperativ motivisch unterstützt. Schliesslich bereitet das Orchester festlich das Einsetzen der Kadenz vor.

 

In der Kadenz verändert sich das Hauptthema in virtuose Spielerei. Am Schluss erscheint das Hauptthema in einer sphärischen Klangwelt der Holzbläser. Dieses Mal übernimmt die Geige die Begleitung und bereitet die feierliche, lebensbejahende Reprise des Hauptthemas im ganzen Orchester vor.

 

Wieder löst das luftige impressionistische Zwischenspiel der Geige das Hauptthema ab und führt zum zweiten romantisch singenden Thema weiter. Abrupt wird dieses Singen wieder unterbrochen, allerdings dominieren bald die heiteren Klänge und eine festliche Coda beendet dieses lebensbejahende Allegro moderato.

Romanza: Andante

Eine Hornmelodie verbindet attacca den ersten Satz mit der nun folgenden Romanze. Leise und behutsam leitet ds Orchester den Einsatz der Geige ein Mit einer Liebesmelodie, die den romantischen Charakter des Nebenthemas des ersten Satzes wieder aufnimmt und weiterführt, breitet die Geige «weit ihre Seele aus, als flöge sie nach Haus» (Eichendorff). Ein Fagott, ein Horn, eine Oboe und die Soloflöte schweben mit.

 

Überwältigt von so viel Gefühl schüttelt sich die Geige wie kurz aufwachend aus einem Traum im Mittelteil der Romanze. Das leidenschaftlich mitgehende Orchester unterstützt und schützt sie, bis die Geige, dank der Mithilfe eines Horns, das die Liebesmelodie übernimmt, in sanften traumhaften Begleitfigurationen wieder zu ihrer Ruhe findet. Noch zauberhafter und traumverloren beginnt die Geige ihre Liebesmelodie zu singen, noch sphärischer begleitet das Orchester bis zum letzten Verklingen.

Finale: Vivace assai

In einem Vivace assai reissen Trompeten und ihnen folgend das volle Orchester uns aus unsern Träumen heraus. Auch die Geige ist gleich zur Stelle und spielt zu einem 6/8tel Tanz auf.

 

Erst eine Zeitlang später erinnert sich die Geige fast schmachtend an das in der Romanza Erlebte, aber startet gleich wieder ins entspannte und etwas selbstverliebte Tanzvergnügen.

 

Nach diesem fast scherzoartigen Rondoteil stoppt das Orchester das Voranstürmen und führt eine besinnliche lyrische Melodie ein welche die Geige in Doppelgriffen sofort übernimmt. Ernsthafte Zwischenrufe des Orchesters treibt die Geige in wilde Aufregung, bis sie wieder zu ihrem tänzerischen Rondothema zurückfindet. Das Vergnügen hält an, errungene Lebenslust beschleunigt die Virtuosität der Geige, und alles drängt hin zu einem lebensbejahenden Schlusshymnus, der nochmals in festlichem Klanggewand das Hauptthema des ersten Satzes erinnert und aufgreift. Eine letzte lockere Geste der Geige und Schluss.


www.unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com

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