Elisabeth Kuyper
geboren 13. September 1877 in Amsterdam
gestorben 26. Februar 1953 in Muzzano
Uraufführung:
13. Februar 1908 durch Anton Witek (Violine) und Max Bruch (Dirigent)
CD-Aufnahme:
Aleksandra Maslovoaric 2014
«Pionier zu sein auf dem Gebiete, das mir durch meine Begabung angewiesen war – nämlich zum Komponieren und Dirigieren vorbestimmt – heisst für eine Frau, heute vielleicht noch mehr wie früher, kämpfen, ringen um jeden Schritt, der vorwärts führt», schrieb die holländische Komponistin Elisabeth Kuyper in ihrem autobiografisch-feministischen Text «Mein Lebensweg» im Jahre 1929.* Ihr erstes Ausdrucksmittel war das Klavier, das sie mit Erfolg studierte und spielte. Doch fühlte sie sich zum Komponieren berufen und wechselte von Amsterdam an die ehemalige königliche Hochschule in Berlin, wo sie von Max Bruch gefördert und zum weiteren Komponieren ermutigt wurde. Max Bruch dirigierte denn auch einige ihrer Werke selbst, so auch am 13. Februar 1908 die Uraufführung des Violinkonzerts in h-moll op 10. «Ebenso wurde das Violinkonzert wiederholt in verschiedenen Städten mit den städtischen Orchestern gespielt. Es ging alles in grossem Crescendo aufwärts – bis der Weltkrieg ausbrach und die Nationalitätsfrage wichtiger wie die des Talentes wurde.»*
Für ihre damaligen Werke erhielt sie von der Akademie der Künste (Vorsitzender: der Geiger und Komponist Joseph Joachim) als erste Frau das Mendelssohn-Staatsstipendium für Komposition. Sie bekam sogar eine Stelle als Kompositionslehrerin an der staatlichen Hochschule für Musik, allerdings schlechter vergütet als ihre männlichen Kollegen. Lebenslang musste sie um die bei Männern damit verbundene Pensionsberechtigung kämpfen. Die Lehrtätigkeit beanspruchte sie so sehr, dass das Komponieren darunter litt. Auch wollte sie sich lieber eine Dirigentenlaufbahn erobern. Dazu musste sie sich ein eigenes Frauen-Symphonieorchester in Berlin gründen, denn eine Dirigentenstelle an einem deutschen Orchester oder einer Oper zu bekommen, war für ein Frau chancenlos. Allerdings scheiterte das Unternehmen eines eigenen Frauenorchester an mangelnder finanzieller Unterstützung. Noch dreimal in ihrem wechselvollen Leben, in Amsterdam, in London und in New York, erlitt die Gründung eines Frauen-Symphonieorchesters das gleiche Schicksal: Trotz Bewunderung und guter Presse scheiterten die Projekte. Denn «für die Tatsache, dass die Kunst auch bei den Frauen beruflich sein kann und dass Orchestermusikerinnen ein jährliches Gehalt haben müssen, um leben zu können, war in keinem Lande das rechte Verständnis vorhanden.»* Kuyper erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste aus New York zurück nach Europa in die Schweiz, wo sie im Engadin und im Tessin neue Kräfte und neuen Mut sammelte.
Mit Ausbruch des zweiten Weltkriegs zog sie sich ganz in die Schweiz zurück, durfte aber nicht beruflich arbeiten. Verarmt, aber immer komponierend und da und dort - als ihr 1947 die Arbeitsbewilligung schliesslich zugestanden wurde - als Dirigierassistentin mithelfend, verbrachte Kuyper ihr restliches Leben im Tessin, wo sie in Muzzano bei Lugano unter ungeklärten Umständen an Vergiftung wegen eines defekten Petroleumofens starb. Wie viele Werke Kuyper damals noch komponiert hatte, ob auch noch ein zweites Violinkonzert im Manuskript existierte, weiss man nicht. Man weiss, dass neun ihrer Werke noch vermisst sind.
Um die Wiederauffindung und Herausgabe des Violinkonzertes h-moll von Elisabeth Kuyper hat sich die Geigerin Aleksandra Masiovaric grosse Verdienste erworben. Leider ist ihre Erstaufnahme des Konzertes interpretatorisch und geigerisch weniger gelungen. Das urromantische Violinkonzert verdient dringend eine erneute Interpretation und Audio-Aufnahme.
*zitiert aus: Mein Lebensweg, abgedruckt in: Frau und Musik, hsg. Von Eva Rieger, Fischer Taschenbuch Verlag 1980
Hörbegleiter:
Feurig soll es beginnen: Ein rhythmisches Thema im Orchester legt gleich vor: Auftakt, Triolen und Sforzati markieren dessen H-moll-Präsenz. Triolen und ein zweimaliger Ansatz zu einem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch leiten über zu einem feinen Stimmungswechsel nach H-Dur. Zuerst die Celli, dann Oboe und Flöte gemeinsam, gefolgt von den Violinen singen eine einprägsame, schwelgerische Melodie. Doch das Rhythmische übernimmt danach wieder die Führung und bereitet den präludierenden Einsatz der Sologeige vor.
Nach kurzer Selbstpräsentation übernimmt die Geige das prägnante Hauptthema und verwandelt es in weiterführende Triolen-Doppelgriff-Läufe und rhythmische Spielereien. Das Orchester mischt sich mit einem weiteren rhythmischen Hintergrund-Motiv mit ein, während die Geige in virtuosen Läufen und langen Trillern überleitet zur Wiederaufnahme des zweiten melodischen Themas, jetzt in D-Dur und auf der sonoren G-Saite, leise mit Streicher- und Hörnerklang untermalt. Doch das Orchester verwandelt die Melodie gleich wieder ins schwärmerische H-Dur, die Geige stimmt mit ein und lässt die Melodie frei und sehnsuchtsvoll aufblühen, allerdings nicht ohne gelegentlich dunklere und fremdere Harmonien zu streifen.
Hörnerklang bereitet dann das erneute Erscheinen des rhythmischen Hauptthemas im Orchester vor. Damit beginnt in strahlendem H-Dur die Durchführung. Die verschiedenen Elemente des Themas werden variantenvoll moduliert, etwas, was die Sologeige gleich aufgreift. Sie stimmt fantasiereich in eine harmonisch reiche und melodienselige Durchführung von Hauptthema und Gesangsthema mit ein. Wunderschön verweilen Sologeige und Orchester bei diesem schwärmerischen Gesangsthema und beleuchten es neu mit ihren Möglichkeiten und lassen es ausfransen in reine vergnügte Spielereien. Doch mahnen aufkommender Akzente und Sfozati daran, das Hauptthema nicht zu vergessen.
Die Reprise bringt zuerst im Orchester, dann in der Geige das Hauptthema wieder in h-moll. Triolen und Rhythmik markieren dessen Präsenz, erst langsam beruhigen geigerische Triolen-Übergänge das Geschehen und leiten sehnsuchtsvoll zurück zur zauberhaften kantablen Melodie, zuerst von der Geige wieder in D-Dur, dann vom Orchester in leuchtend romantischem H-Dur gespielt. Erneut blüht die schwärmerische Melodie in der Geige frei und ausdrucksstark auf, bis das Orchester feierlich die Schluss-Coda eröffnet und die Sologeige zu konzertantem und wirkungsvollem Abschluss dieses ersten Satzes des Konzerts einlädt.
Celli- und Hörnerklänge schaffen eine Atmosphäre, aus der heraus Elisabeth Kuyper eine schlichte und dennoch romantisch ausdrucksstarke Geigenmelodie hervorzaubert, sodass mitfühlendes Zuhören zugleich zu einem tiefen Erinnern wird, als hätte man alles das schon vor Zeiten einmal gehört. Wieder scheint die Melodie kein Sehnsuchtsende zu kennen und lässt Gemüt und Existenz offen werden und mitklingen.
Ein Horn tritt gleichsam als ein Alter Ego dazu, als sei es nicht gut, dass die Geige allein sei. Als hebe die Geige gleich ab, erspielt sie sich Läufe und Figuren in grosser Freiheit und Exaltiertheit. Bis dann Trompeten und Paukenwirbel wieder zurück in die Realität rufen. Die Geige übernimmt kurz diesen Ruf, als ob sie diesem Ruf folgen wollte, doch driftet sie gar bald wieder in ihre Fantasiewelt voller Spiel und Virtuosität weg, da nützt auch das heftige Insistieren des ganzen Orchesters wenig.
Das Spiel der Kunst und Fantasie ist stärker und führt – jetzt eine Oktave höher und noch ausdrucksstärker – zum Thema des Anfangs zurück. Es-Dur und Harfenbegleitung verklären diese Melodie, das Horn tritt wieder dazu und man darf hörend schlicht und einfach mitträumen.
Aus der Traumwelt von Es-Dur holt uns ein tänzerisches, fast etwas seriös auf und absteigendes H-moll Thema zurück in einen typischen Schlusssatz eines Geigenkonzerts. Die Geige eröffnet und entwickelt das Thema geigerisch weiter, das Orchester übernimmt schliesslich das Thema in Reingestalt.
Ein von bordunartigen Doppelgriffen geprägtes, markantes zweites Thema folgt gleich anschliessend in der Geige und sticht mit spitzen Sforzato-Tönen heraus.
Das Orchester verwandelt dieses Thema dann zu einem feierlichen Zwischenspiel, bevor dann in der Geige durchführungsartig das tänzerische Thema wieder durchschimmert. Auch hier wird kunstvoll in Orchester und Geige mit den Themen gespielt, bis sich das tänzerische Hauptthema in h-moll wieder durchsetzt.
Auch das akzentuierte zweite Thema in Orchester und Geige erscheint wieder, bis ein gross aufklingendes Orchesterspiel den Schluss des Satzes vorbereitet.
Die Geige setzt mit Triolenläufen ein und startet in Richtung freudiger Schluss. Das Orchester markiert nochmals das zweite Thema, überlässt aber auch der Sologeige die Möglichkeit, sich mit dem Orchester zusammen nochmals wirkungsvoll und abschliessend zu präsentieren.